Who’s gonna drive you home tonight? (Ich streame weiter)

Ich bin auf der Flucht. Im Autoradio höre ich die Fahndungsnachricht, sie kennen jetzt meinen Namen. Ich wechsle den Sender, drehe die Musik auf und singe, schreie mit, so laut ich kann: „Gloria, don’t you think you’re falling? If everybody wants you, why isn’t anybody caaaalling?“ Vor mir liegt Miami Beach, Schauplatz meines nächsten Mordes. Es wird der letzte sein, der beste und glamouröseste. „Gloria, I think they got your number … I think they got the alias that you’ve been living under …“ Das Meer ist so blau, wie ich es erwartet habe und Laura Branigan begleitet mich in den Untergang. Ich habe nichts mehr zu verlieren.


Tatort Netflix. Ich habe die perfekte Serie gefunden, endlich, wenn auch mit etwas Verspätung: The Assassination of Gianni Versace (veröffentlicht 2018 auf FX). Perfekt auf mich zugeschnitten, ich bin wohl die Zielgruppe. Weil ich nun mal eine Schwäche für charismatische Serienkiller habe, für ihre Motive, ihre Psyche und ihren Lebenslauf. Vielleicht auch, weil mein lieber Gatte mir bereits vor Jahren erzählte, dass er den späteren Versace-Mörder Andrew Cunanan Mitte der 90er Jahre tatsächlich mal in einer Bar in San Francisco kennengelernt hatte. Es war nur eine kurze Begegnung, er hat es überlebt. Die Serie haben wir uns nun zusammen angeschaut. Dort wird Cunanan als ebenso psychopathischer wie einsamer Charakter dargestellt, ein Besessener und Größenwahnsinniger, der sich vor seinen Mitmenschen immer wieder neu erfindet. Ständig präsentiert er neue, fantastische Versionen seiner Biografie, während seine wahre Lebensgeschichte in Rückblenden rekonstruiert wird. Darin eingebunden sind auch die Geschichten seiner Opfer, inklusive die von Gianni Versace (dessen Mord zwar den erzählerischen Rahmen bildet, insgesamt aber höchstens zehn Prozent der Handlung einnimmt). Die Familie Versace hat sich ausdrücklich von dieser Produktion distanziert und leugnet bis heute, dass Cunanan und Versace vor seiner Ermordung jemals persönlichen Kontakt hatten. In der Filmversion finden deren Begegnungen dann meist auch in künstlich inszenierten Umgebungen oder in traumähnlichen Sequenzen statt. Vielleicht ist es gar nicht wichtig, ob die beiden sich wirklich kannten oder nicht, denn durch den Mord bleiben ihre Namen für immer miteinander vereint. Zum Schulabschluss soll Andrew Cunanan von seinen Mitschülern den Titel „Most Likely To Be Remembered“ verliehen bekommen haben. Diese Prophezeiung dürfte sich nun endgültig erfüllt haben.

Criss_Cunanan

Die perfekte Serie kann für mich nur eine Miniserie sein. Sechs bis zehn Episoden, das reicht. In diesem Fall sind es neun. Ein kompakter dramatischer Bogen. Keiner dieser aufgeblasenen Glotz-Marathons, bei dem ich spätestens nach der zweiten Staffel die weiße Fahne schwenke, weil mein anfängliches Interesse sich längst in Erschöpfung und in Missgefallen über endlose Storylines und ständig neue hanebüchene Plot-Twists aufgelöst hat. Auch das Casting ist nahezu perfekt. Neben Hauptdarsteller Darren Criss hat mich vor allem Judith Light in einer Nebenrolle begeistert. Kinder der 80er Jahre kennen sie vielleicht noch aus der Sitcom „Wer ist hier der Boss?“. Hier spielt sie nun die Witwe eines der Mordopfer von Andrew Cunanan, die Homeshopping-Queen Marilyn Miglin, die ihr Leben vor allem auf Selbstbeherrschung und Verdrängung aufgebaut hat. In ihrer kalten Maskerade aus hochtoupierter Betonfrisur, High Heels und eisernem Willen wirkt sie fast noch beängstigender als der Mörder Cunanan in seinen psychopathischsten Momenten. Dazwischen blitzt aber auch bei ihr immer wieder subtile Verzweiflung durch, die Maske wird langsam brüchig. Eine unglaubliche, ja unheimliche Performance.  

Light_Miglin

Ach, und die Musik, die hat ein eigenes Kapitel verdient. Es gibt den Original Score von Mac Quayle, der dafür kunstvoll Elemente von Giorgio Moroder, Ambient und italienischer Oper kombinierte. Und es gibt das, was ich als das große Ryan-Murphy-Disco-Drama bezeichnen möchte. Ryan Murphy ist vor allem als Produzent von Glee bekannt geworden (die Serie, durch die übrigens auch Darren Criss erstmals größere Bekanntheit erlangte). Dort sangen und tanzten sich aufgekratzte High School Kids alle paar Minuten die Seele aus dem Leib. Das war vielleicht noch nicht wirklich die Krone der TV-Unterhaltung, aber schon dort bewies er ein sicheres Gespür dafür, alten Popsongs neues Leben einzuhauchen. Dieses Gespür wurde in seinen anspruchsvolleren Produktionen der letzten Jahre noch extrem verfeinert. Auch wenn er nicht immer selbst Regie führt, bleibt seine Handschrift im Soundtrack doch immer unverkennbar.

Als The Assassination of Gianni Versace vor mehr als zwei Jahren beworben wurde, machte vor allem eine Szene die Runde: Darren Criss tanzt als Andrew Cunanan, nur mit knapper rosa Unterhose bekleidet, durch ein Hotelzimmer, es läuft „Easy Lover“ von Philip Bailey und Phil Collins, während auf dem Bett ein alter Mann um sein Leben kämpft. Erinnerungen an die alberne Verfilmung von „American Psycho“ wurden wach, aber glauben Sie mir: das hier ist viel, viel besser. Und es gibt diese Szene, in der Andrew in einem Pub sitz, an irgendeiner Landstraße, unterwegs von einem Mord zum nächsten. Wie hypnotisiert schaut er sich den Auftritt einer Sängerin an (Aimee Mann in einer kleinen Gastrolle), die eine Akustik-Version von „Drive“ (The Cars, 1984) zum Besten gibt. „You can’t go on thinking nothing’s wrong …“ scheint sie nur für ihn zu singen. Was folgt, ist die vielleicht traurigste und herzzerreißendste Minute der gesamten Geschichte, sie spielt sich allein in Andrews Gesicht ab. Die finale Mordszene wird schließlich mit „Vienna“ von Ultravox unterlegt. All das hätte sehr leicht in manipulativen Schmalz umkippen können. Tut es aber nicht, dazu ist es zu präzise inszeniert. In diesen Momenten glaubt man fast, die Songs seien einzig und allein für diese eine Szene und ihren Protagonisten komponiert worden.

Ryan Murphy hat ein goldenes Händchen für solche Momente. Damit heben sich seine Serien auch wohltuend vom Großteil seiner Konkurrenz ab, die musikalisch gerne besonders dick aufträgt und dabei immer verlässlich daneben greift. Denn einfach nur deprimierende Songs über ohnehin schon deprimierende Szenen legen oder hektischen Technoschrott über hektische Verfolgungsjagden, bis den Zuschauern die Ohren bluten, das kann jeder. Dazu braucht man nicht mehr als die Sensibilität einer Scheibe Toastbrot bzw. eines durchschnittlichen ZDF-Redakteurs. Was dagegen in The Assassination of Gianni Versace passiert, ist die Erhebung von vermeintlich schnödem Radiopop auf ein neues dramatisches Level, wo Disco, New Wave, Oper, Camp und griechische Tragödie eine perfekte Symbiose eingehen. Im Dienste der perfekten Serie. Oh je, immer dieses schlimme P-Wort, ich weiß … aber ich kann nicht anders!

Fazit: Thema, Form, Darsteller, Soundtrack – alles perfekt. Fast. Einen einzigen Schönheitsfehler gibt es, aber selbst der wird am Ende noch durch einen brillanten Regie-Einfall neutralisiert. Es geht um Penélope Cruz bzw. um Donatella Versace. Eine seltsame Besetzung. Im Vergleich mit dem realen Vorbild erscheint Frau Cruz immer drei Nummern zu elegant, zu attraktiv und zu farblos. Da helfen auch das falsche Gebiss und das angestrengte Genuschel nicht. Aber dann: in einer der letzten Einstellungen schaut die trauernde falsche Donatella in einen mit dem Versace-Logo geprägten Spiegel. Ihr Gesicht verschmilzt mit dem Kopf der Medusa und sie sieht sich selbst für einen kurzen Augenblick entstellt, wahnsinnig, zur Fratze verzerrt. Ein Ausblick auf ihr zukünftiges Erscheinungsbild. Perfekt.


Abschließend möchte ich bekennen, dass ich meinen Gatten um seine damalige Begegnung mit Andrew Cunanan beneide. Ich finde die meisten Menschen dermaßen langweilig, dass mir die Bekanntschaft eines Serienkillers als faszinierende Abwechslung erscheint. Man sollte von seinen Mitmenschen aber auch nicht zu viel erwarten, jedenfalls nichts, was man nicht auch selber tun kann (alte Volksweisheit). In diesem Sinne sollte ich vielleicht einfach mal selbst … Also Sie hören von mir.


Trailer: „The Assassination of Gianni Versace“

Zlatko

Schreib doch mal was über Promi Big Brother, nervt mich meine innere Stimme (wie die alkoholabhängige Pastewka-Agentin), scheiß auf’s Niveau, einfach mal rausholzen den ganzen Mist, dann stimmt auch wieder die Quote! Also bitte sehr: Zlatko ist wieder auferstanden und ich werde jetzt erklären (wie so eine Mate-abhängige Zeitgeist-Redakteuse mit Hipsterdutt), warum das, wenigstens restrospektiv-ironisch, sehr bedeutend ist. Oder auch nicht. Die erste Big-Brother-Staffel vor knapp 20 Jahren haben alle geschaut, selbst die Berliner Agenturblase. Ja, das war natürlich alles ganz furchtbar, so ein Trash, haha, wie kann man nur, aber haste die gesehen, alter Falter, Hilfe, noch mal fünf Sekt auf Eis hier auf halb acht, Luigi … bevor wa’s dem Insolvenzverwalter schenken, hahaha! Tatsächlich kann ich mich noch an Zlatko erinnern, den Quoten-Proll, der nicht wusste, wer Shakespeare ist. Mit so vielen Jahren Abstand erscheint es fast rührend, dass der mal als dümmster Mensch im deutschen Fernsehen galt. Zlatko könnte heute SPD-Vorsitzender werden, das würde niemand merken. Heute haben sich die Zlatkos und Veronas, die Ochsenknechts und Gina-Lisas längst in die Tausende multipliziert, weshalb vor jedes ihrer neuen Bums-Formate ein „Promi-“ geklebt werden muss, damit da überhaupt noch jemand zuschaut. Ich spare mir jetzt mal die übliche Litanei darüber, wie unprominent diese „Promis“ eigentlich sind. Natürlich kennt die niemand, es sei denn man glotzt 24 Stunden am Tag Bauer-Sucht-Zombie-Blas-den-Bachelor-am-Ballermann, und selbst dann hat man diese ganzen tätowierten Porno-Hackfressen doch gleich wieder vergessen. Aber, und das ist ein gewaltiges ABER, Hand auf’s Herz zum heiligen Schwur: wir haben doch alle unsere Guilty Pleasures, irgendeinen Müll, den wir gerne schauen, wenn das Hirn auf Sparflamme köchelt und wir nur noch möglichst schnell und fettig unterhalten werden wollen. Ich zum Beispiel schaue gerne mal auf TLC oder ähnlichen Reality-Kanälen Mein Leben mit 300 Kilo oder Man vs. Food (quasi als inhaltliche Symbiose), die Real Housewives im Internet, Germany’s Next Topfdeckel sowieso oder eine dieser Sendungen, in denen Putzfanatikerinnen mit Gummihandschuhen zugesiffte Messi-Höhlen reinigen müssen. Sollte die mal jemand alle zusammen in einen Container stopfen und die Kamera draufhalten, würde ich mir das wahrscheinlich auch anschauen. Was das nun alles mit Zlatko zu tun hat? Keine Ahnung. Lassen Sie mich doch in Ruhe und lesen Sie ein Shakespeare-Sonett (oder den neuesten Hit aus meiner Grabbelkiste) …

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Im Reich der Zähne und der Tränen

Anlässlich der 1000. Staffel von Germany’s Next Topmodel möchte ich hier einen Text abladen, den ich vor ungefähr sechs Jahren nach dem damaligen Finale eben jener wunderbaren Sendung verfasst habe und den ich bisher, soweit ich weiß, noch nicht im Internet veröffentlicht hatte. Bekanntermaßen sind Keith Richards und Heidi Klum die einzigen Menschen, die den nächsten Atomkrieg überleben werden, aus ihnen wird dereinst die neue Superrasse entstehen. Bis dahin gilt: immer schön einen Fuß vor den anderen, Personality zeigen und Gas geben – denn die Konkurrenz schläft nicht!


Ein Sandsturm zieht auf. Erbarmungslos peitschen Millionen kleiner Steine in das aufwendig geschminkte Gesicht eines Mädchens. Sie sitzt in einem offenen Helikopter und versucht, nach unten zu schauen. Gleich wird sie hinabgeworfen werden, fünfhundert Meter in die Tiefe, während sie für einen vorbeifliegenden Fotografen posieren soll. „Sexy! Sexy! Sexy!“ schreit eine Stimme irgendwo aus den wirbelnden Sandmassen. Wenn sie unten ankommt – in der mongolischen Wüste, in Dubai oder mitten auf dem Gaza-Streifen (sie hat während ihrer interkontinentalen Mission der letzten Wochen etwas Überblick verloren) – dann wird sie ihrem Ziel wieder einen Schritt näher sein. Vorausgesetzt sie überlebt den Aufprall und das nächste Foto-Tribunal … 

Als ich aufwache, ist es kurz vor Mitternacht. Ich habe das große Finale verpasst. Ich reibe mir die Augen und schalte den Fernseher ein. Dort stehen zwei Blondinen mit Moderationskärtchen auf einer zerstörten Großraumbühne. Überall liegt Konfetti. Es scheint vorbei zu sein, die Schlacht ist geschlagen. Aber die Blondinen kündigen noch ein Heidi Klum-Special an, das dem Zuschauer alles über den schillernden Werdegang des deutschen Weltstars verraten soll. Vielleicht gibt es da draußen ja wirklich noch Menschen, die noch nicht genug über sie wissen. Und so erfahre ich zum fünfhundertsten Mal, dass es ein Bikini war, der die zentrale Rolle auf ihrem Weg zum Ruhm spielte. Insgesamt wird Frau Klum hier als genau das präsentiert, wofür sie die Journaille ihres Heimatlandes so verachtet: eine mopsfidele Vermarktungsmaschine mit sehr vielen weißen Zähnen, die sie uns bei jeder passenden Gelegenheit wie eine Waffe entgegenblitzen lässt. In diesem Moment wird mir klar, dass ich gar nichts verpasst habe, die Gewinnerin stand längst fest, sie heißt wie immer: Heidi! Heidi! Heidi! Das ist alles, was ich wissen muss. Die Mission ist erfüllt, die Demütigungen sind überstanden und die Namen der Opfer bereits vergessen. Einmal, es liegt bereits Jahre zurück, da strahlte am Ende der gleichen Veranstaltung so etwas wie Wahrhaftigkeit aus Heidi Klum heraus. Es war spät, wieder war alles voller Konfetti. Sie wurde in eine Kulisse geschoben und vor laufender Kamera gefragt, wo denn ihre Familie sei. Für diesen kurzen Augenblick hörte ihr Gebiss auf zu blitzen und sie sprach: „Die wissen gar nicht genau, was ich hier mache, und das ist eigentlich auch ganz gut so.“

Zähne und Tränen, das sind die wesentlichen Bestandteile dieses bizarren Wettbewerbes, der Rest sind niedere Instinkte, eine niedere Komik und ein noch viele niedereres Vokabular. Worte aus einer anderen Welt, einer Welt ohne Sinn und Grammatik, einem debilen Reich, das sich selbst genügt. Ja, niedrig ist diese Sprache – so niedrig, dass sie nicht einmal mehr am Boden liegt, sondern bereits eingesickert ist in die oberen Erdschichten, wo sie sich mit all dem Konfetti, den Tränen und dem Blut der Opfer vermischt. Aus diesem faulenden und nährreichen Humus wird schon bald wieder neues Leben entstehen.

Female Trouble

Es war eine dieser Dinner Parties, wie sie in fast jeder Folge stattfinden. Die Frauen kamen zusammen, begrüßten sich überschwänglich, Bussi links, Bussi rechts, sie tranken ein paar Gläser eisgekühlten Pinot Grigio und plauderten. Ein Drehbuch brauchten sie nicht, denn die Dynamik ihrer Zusammenkunft würde von ganz alleine dazu führen, dass die Stimmung nach nur wenigen Minuten dramatisch kippt. Es würde eine Konfrontation geben, keine Frage. Mindestens zwei der Frauen würden dann hysterisch herumschreien, sich gegenseitig ihre Drinks ins Gesicht kippen und wutentbrannt die Szene verlassen. Tränen, Close-Ups und … Cut!

Andy Cohen kommt in die Hölle. Zumindest wenn es nach den Tugendwächtern gediegener Unterhaltungskultur geht. Ich mag Andy Cohen, aber ich komme ja selbst auch in die Hölle. Andy ist ein kleiner Junge Ende vierzig, der sich im Süßwarenladen der US-amerikanischen Medienlandschaft reich und zufrieden gefuttert hat. Und der darüber immer noch jeden einzelnen Tag abwechselnd staunen und hysterisch kichern kann. Andy Cohen ist Produzent, TV- und Radio-Moderator, Autor und Society-Luder  – ein Hans Dampf in allen glitzernden Gassen. In New York ist er der Nachbar von Sally Field, der beste Freund von Sarah Jessica Parker und Anderson Cooper sowie überhaupt mit allem bekannt und vernetzt, was Rang, Namen und mindestens drei Platin American Express-Kärtchen besitzt. Vor allem aber ist er der Mastermind hinter den Real Housewives of (New York, Beverly Hills, Atlanta uws. – sie breiten sich aus wie Metastasen) … Dingenskirchen, einem der erfolgreichsten Reality-Trash-Programme der letzten Jahre. Das Rezept ähnelt dem vergleichbarer Formate: ein Haufen Wahnsinniger macht sich vor der Kamera zum Affen. Im Fall der Housewives-Serien ist das eine Gruppe überspannter Luxusweiber, die sich mit künstlich inszenierten Dramen gegenseitig durch die Gegend mobbt. Es ist wie auf dem Schulhof eines sozialen Problembezirkes. Nur dreißig Jahre später, mit jeder Menge Bling, Botox und Xanax. Aber es funktioniert. Einige der Housewives haben durch diese Sendung bereits sehr lukrative Medienkarrieren hingelegt. Damit ist eigentlich alles gesagt. Sollten Sie noch nichts von diesem Elend dieser faszinierenden Welt gehört haben und sich vielleicht gerade ein wenig von den französischen Präsidentschaftswahlen ablenken wollen (und auf diesem Wege gleich noch gratis ein paar Gehirnzellen verlieren wollen), dann schauen Sie doch mal hier.

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See you in Hell, Andy! (Quelle: instagram.com/bravoandy)

Was hatte ich erwartet? Nur weil Freundin X mir wieder einmal – ganz ehrlich und ganz im Vertrauen – erzählt hatte, wie kaputt das Leben von Freundin Y ist, was das für eine überspannte Ziege sei, wie die ihren Mann betrügt und er sie natürlich auch, dass sie über ihre Verhältnisse lebt, ihre Kinder nicht richtig erzieht, schwer alkoholabhängig ist und sicher bald in der Psychiatrie landen wird, heißt das noch lange nicht, dass X und Y nicht die allerbesten Freundinnen sind und immer füreinander da sein werden. Natürlich. So funktionieren Frauenfreundschaften. Zumindest einige. Glauben Sie mir, ich habe es erlebt. Die Housewives sind real und sie sind überall. Zum Wohl!

Otto Normalverbraucher

„Die Familie von Thomas de Maizière ist in besonderer Weise mit der deutschen Geschichte verwoben. Aus dem Raum Metz stammend, flüchten seine Vorfahren – hugenottische Protestanten – im 17. Jahrhundert vor der religiösen Verfolgung in Frankreich nach Brandenburg-Preußen. Der Gedanke der Pflichterfüllung gegenüber dem Staat, der einst Zuflucht bot, ist seitdem in der Familie fest verwurzelt. Vater Ulrich dient in drei deutschen Armeen: der Reichswehr in der Endphase der Weimarer Republik, der Wehrmacht und der Bundeswehr.“*

Der Innenminister ist ein Musterbeispiel gelungener Integration: fleißig, fromm, militärisch gedrillt und dem deutschen Staat ebenso treu ergeben wie (praktisch von Geburt an) großzügig von ihm finanziert. Thomas de Maizière weiß, was sich gehört. Deshalb ließ er es sich auch nicht nehmen, einem Berliner Taxifahrer mit türkischen Wurzeln zu dessen hervorragenden Deutschkenntnissen zu gratulieren. In der letzten Ausgabe von Hart aber Herzlich Fair war das, in der es natürlich um die Ungezogenheit der Türken im Allgemeinen und um die von Erdogan und seinen Anhängern im Besonderen ging. Ganz besonders beeindruckt zeigte sich de Maizière davon, dass der ihm vorgeführte Berliner, der hier seit vierzig Jahren lebt und unter anderem Architektur studiert hat, den Begriff „Otto Normalverbraucher“ ins Spiel brachte, ja tatsächlich. Das sei doch ein hohes sprachliches Niveau, so der Minister, zwar noch mit einem kleinen Akzent, aber dennoch … Thomas de Maizière lebt in Dresden, unverständliches Genuschel ist er also gewöhnt. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch! Wenn der so gelobte Taxifahrer jetzt noch dreimal hintereinander „Bruttosozialprodukt“ fehlerfrei aussprechen kann, lädt der Minister ihn als Belohnung vielleicht zu einem Schnitzel mit Soße ein. So kann er dann gleich noch beweisen, ob er schon mit Messer und Gabel essen kann. In der selben Sendung wurde übrigens die Frage gestellt, weshalb sich so viele „Deutschtürken“ als Bürger zweiter Klasse fühlen.

Es ist nur ein Beispiel von vielen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir fällt sie immer sofort auf, diese gut gemeinte Blut-und-Boden-Arroganz der selbst ernannten Biodeutschen. Sie reden von „Integration“, meinen in Wahrheit aber immer Assimilation. Deutsch ist man für diese Leute nach frühestens dreihundert Jahren. Wer eine etwas dunklere Hautfarbe hat, darf gerne noch mal hundert Jahre drauf packen. Davor gibt es maximal Duldung und Noten für gutes Betragen oder akzentfreie Aussprache. Der Berliner Taxifahrer tut mir leid. Sein Dilemma ist, dass er sich nicht entscheiden kann, wem er sich mehr unterwerfen soll – dem perfekt assimilierten Hugenotten de Maizière oder dem nationalistischen Großmaul Erdogan. Ein Lehrstück in Sachen Selbstaufgabe und vaterländischer Demut. Grauenhaft.

*Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

It’s the terror of knowing what this world is about

Das Thema muss noch sacken, hatten sie ihm gesagt, das braucht noch Zeit. Vielleicht nach dem nächsten Anschlag, hatten sie gesagt, diese Sesselpuper in Köln! Jetzt kann er sich des inneren Jubels nicht länger erwehren. Live-Stream, seit 20 Minuten. Und es geht gerade erst richtig los. Von wegen sacken lassen! Hatte er es ihnen nicht gesagt? Seit Monaten liegt er denen beim Sender jetzt schon in den Ohren. Fünf verschiedene Drehbuch-Entwürfe über deutsche IS-Heimkehrer gammeln auf seinem Schreibtisch vor sich hin. Das müssen wir machen, hatte er ihnen immer wieder vorgebetet. Worauf wartet ihr denn noch, worauf? Jetzt müssen wir das machen, Leute, noch in diesem Quartal! Noch vorm Sommer. Wenigstens dieses Jahr noch. Bevor die Gelder wieder weg sind. Bevor RTL das macht, mit der Verres und dem Schweighöfer oder irgendeiner dieser alten Quotenschlunzen! Dann ist der Stoff verbrannt. Wir können das doch besser mit dem Terror und der Angst, mit den Menschen und den Emotionen. Wir sind doch der WDR. Ja, natürlich können wir das alles noch biegen. Ja klar, ich rede mit den Autoren. Das kriegen wir auch noch ergreifender hin, das schleifen wir noch. Mit ein wenig mehr Fokus auf die Ehe der Eltern und das soziale Umfeld. Vielleicht noch ein bißchen Recherche im Milieu? Ist das im Budget? Direkt bei den Hartzern? Plattenbau? Zu abgedroschen? Besser im Eigenheim? Schwuler Bruder? Vergewaltigte Schwester? Drogen? Irgendwie aktueller? Politischer? Mit Bezug auf Erdogan? Böhmermann? NATO? Lindenstraße? Hanni und Nanni? Kein Problem. Aber mit Feingefühl, ganz sensibel, die Balance halten, ja, wir sind doch der WDR. Wir holen die Leute dort ab, wo sie sind, ganz authentisch, in ihrem Alltag, ja natürlich. Mann, das wird gut!

Dem Redakteur ist nach Feiern zu Mute. Er ruft jetzt mal den Alex an, dessen Buch liegt ganz oben auf seinem Stapel. So eine arme Sau, der hat seit zwei Jahren keine Förderung mehr bekommen für sein Geschreibsel, ist bestimmt schon wieder mit der Miete im Rückstand. Der hat Druck, der kommt nicht mal mehr als dritter Schreiber von links bei den Daily Soaps unter, der hat Schulden von hier bis nach Mexiko, der ist flexibel, der schreibt alles rein in sein scheiß Drehbuch. Wie schaut’s aus, Alex, noch kurz zu Johnny ins Sorsi e Morsi … Eher nicht? Dann vielleicht noch bei mir zu Hause? Dann sprechen wir das noch mal schnell durch. Der Ansatz ist gut, hab ich dir ja schon gesagt, aber … Nein, keine Angst, es bleibt natürlich dein Buch, ist doch ganz klar. Wir reden hier über minimale Anpassungen, es geht nur noch um Nuancen. Kannst du gleich noch ein paar Bier mitbringen, vom Späti? Bist du so nett? Oder einen Roten, jetzt nicht den allerbilligsten vielleicht. Und Zigaretten? Ja, das wird gut. Das geht jetzt erst richtig los. Das müssen wir jetzt machen. Endlich. Diesmal ist der Samstag Abend drin, das sag ich dir. 20.15 Uhr, im ERSTEN! Diesmal schieben die uns nicht in den Dienstag oder Mittwoch, kurz nach Mitternacht, wenn nur noch deine Mutter einschaltet, um zu sehen, was du da die letzten Jahre eigentlich getrieben hast. Prime Time, Baby! Rezensionen im Feuilleton, Deutscher Fernsehpreis! Wie klingt das, Alex? Die Füße des Redakteurs fangen an zu wippen. Den Live-Stream lässt er nebenher weiterlaufen.

Bodycount (Der Tod ist keine Option mehr)

„Es kostet verdammt viel Geld, so billig auszusehen“, so sprach einst die große Dolly Parton. Aber um sie soll es hier nicht gehen. Wie viel Geld Gina-Lisa Lohfink für die Karikatur ausgegeben hat, zu der sie sich im Laufe ihrer traurigen Karriere verformt hat, ist mir nicht bekannt. Aber was weiß ich denn überhaupt über diesen ganzen Affenzirkus verkrachter, aufgespritzter und zutätowierter Existenzen, der sich seit Jahren durch die Demütigungs-Formate des kommerziellen Fernsehens wurschtelt? Muss ich überhaupt etwas darüber wissen? Muss ich zum Beispiel wissen, ob der zwölfte Wodka Red Bull von Gina-Lisa möglicherweise mit K.O.-Tropfen gestreckt war, damals vor fünf Jahren, und wer daraufhin nun die juristische Schuld auf sich laden soll für eine aus dem Ruder gelaufene zugedröhnte Afterparty mit zwei Nachwuchsfußballern, die sie in irgendeiner Proletendisco aufgegabelt hat? Wirklich? Ernsthaft? Weshalb interessiert mich der „Fall“ Gina-Lisa überhaupt? Vielleicht tut sie mir einfach nur leid in all dem Irrsinn, den sie da angerichtet hat. Vielleicht passiert da auch gerade etwas Interessantes. Etwas, das sie tatsächlich eine neue Rolle finden lässt. Wie Phönix aus der Asche steigt sie gerade empor aus dem Sumpf der medialen Resterampe, in dem für sie zuletzt nur noch Jobs auf Porno-Messen im Angebot waren. Vor dem Amtsgericht Moabit erscheint sie als Silikon-Ausgabe von Katharina Blum, die übergroße Sonnenbrille als Schutzschild vorm Gesicht. Sie ist jetzt ein Opfer der Justiz, der Medien und des Patriacharts. Eine feministische Ikone. Ja, Zack, die Bohne – wer hätte das gedacht! Das #TeamGinaLisa feuert sie dabei an und ölt mit Kampfbegriffen wie Slut Shaming und Rape Culture die PR-Maschine der neuen Heldin. Erinnerungen an die Ellen-Jamesianerinnen aus John Irvings „The World According to Garp“ werden wach. Derweil fragt Gina-Lisa in einem exklusiven Interview mit dem SPIEGEL dramatisch “Muss ich erst umgebracht werden?“ und zumindest auf diese Frage kann ich eine Antwort geben.

Nein, das nun ganz bestimmt nicht. Der Tod ist keine Option mehr. Nein, nicht für dich, Gina-Lisa. Nicht in einem Jahr, in dem die Großen, die wirklich Berühmten, die Legenden sterben wie die Fliegen. Einem Jahr, in dem die Anschlags-Toten mittlerweile im Wochentakt und immer in mindestens zweistelliger Höhe bekannt gegeben werden. Und es ist gerade einmal Halbzeit. Die Toten des letzten Jahres sind dabei schon vergessen und die ertrunkenen Flüchtlinge werden sowieso nicht mehr gezählt. Nein, dein Ende wäre nur noch eine Randnotiz, begraben unter einem Berg von Leichen und politischen Mega-Krisen. Halte noch etwas durch, Gina-Lisa. Die neue Rolle steht dir gar nicht so schlecht. Wir wissen doch, wie es weitergehen wird. Wer glaubt, dass dein Management nicht längst Auftritte bei Marcus Lanz reserviert und Verträge mit Buchverlagen aushandelt, der hat die Regeln in diesem Zirkus noch immer nicht verstanden.

Erniedrigte und Beleidigte

Man nehme: einen ehemals hippen Misanthropen, dazu die Mutti aus „Zimmer Frei“, den Literatur-Kasper vom SPIEGEL sowie einen austauschbaren masochistischen Gast, der ganz dringend Geld braucht – fertig ist eine der größten Schnapsideen des öffentlich-rechtlichen Kulturfernsehens: die Neuauflage des „Literarischen Quartetts“. Auf dem Papier las sich die Zusammensetzung dieser Runde bestimmt einmal ganz drollig. In der Praxis ist das Ganze eine Zumutung. Dabei ist Maxim Biller noch das geringste Problem. Dessen größte Leistung besteht noch immer in den legendären „100 Zeilen Hass“, die er einst regelmäßig im TEMPO-Magazin veröffentlichen durfte. Vor mehr als 25 Jahren. Inzwischen wirkt die süffisant zur Schau getragene Verachtung für seine Umwelt nur noch wie eine Selbstparodie. Und dennoch fallen sie im neuen Literarischen Quartett wie die Scheißhausfliegen darauf herein. Jedes einzelne Mal.

Erinnert sich noch jemand an die Original-Besetzung? Als Marcel Reich-Ranicki seine Kollegin Sigrid Löffler am Ende als prüde bezeichnete? Frau Löffler blieb daraufhin schwer beleidigt und gedemütigt der Sendung fern. Für Maxim Biller ist so etwas Kinderkram. Er behandelt seine Mitstreiter konsequent wie Gehirnamputierte, die er bestenfalls duldet und eher selten ausreden lässt. Beleidigt sein ist daher der Standard im neuen Quartett. Der eigentlich als Gesprächsleiter angeheuerte Volker Weidemann weiß sich gegen Biller bis heute nicht anders zu wehren als diesen nach spätestens fünf Minuten wie einen schwer Erziehbaren zu behandeln. Der Rest der Sendung besteht dann zum großen Teil auch aus Weidemanns sehr unangenehm streberhaften Disziplinierungs- und Bestrafungsversuchen. Schlag den Biller! Den vorläufigen Tiefpunkt markierte die letzte Sendung vom 26. Februar. Weil Biller dort das neue Buch von Stuckrad-Barre komplett ablehnte, war der Rest der Mannschaft kurz davor, ihn mit Pudding zu beschmeißen. Vergessen Sie Plasberg und Maischberger! Vergessen Sie die Präsidentschafts-Debatten der Republikaner – das ZDF definiert Schmerz und soziale Verwahrlosung mit den Mitteln öffentlich-rechtlicher Literaturkritik ganz neu.

Ohne Eier im Bikini

Hinter den Kulissen rennt eine junge Frau nervös auf und ab. Schlechte Laune liegt in der Luft. Im schönsten Proletendeutsch bellt sie vor laufender Kamera ihre innere Zerrissenheit heraus: soll sie jetzt dort hinauf gehen auf die große verheißungsvolle Vermessungs-Rampe und sich der Jury präsentieren? Oder soll sie doch gleich wieder nach Hause gehen? „Ich hab die Eier nicht!“, ruft sie mehrmals laut. Die anderen, weniger verzweifelten Kandidatinnen stellen sich artig an, eine nach der anderen – neue Saison, neues Glück. Am Ende der Rampe werden sie angeglotzt, beurteilt, ignoriert, aussortiert. Wolfgang Joop, der mittlerweile aussieht wie die exhumierte Leiche von Inge Meysel, ist hier bereits zum zweiten Mal als netter Onkel vom Dienst angestellt. Warum er sich das antut? Den Grund dafür (Geldsorgen, Eitelkeit, Demenz, Botox im Hirn?) wird er vermutlich mit ins Grab nehmen. Solange starrt er mit leerem Blick auf eine endlos scheinende Parade von langen dünnen Beinen. Der Satz, auf den hier alle warten, lautet: „Wir sehen uns morgen im Bikini!“ Heidi Klum is back in town.

Würmerfresser are watching you

Noch besteht Hoffnung für die Zukunft der westlichen Zerstreuungs-Industrie. Denn wenn wir irgendwann tatsächlich einmal genug haben sollten, wenn die Akteure der Erniedrigungsprogramme und spätkapitalistischen Ekelzoos uns nicht mehr kicken und selbst das Snuff-Video der letzten Bachelor-Kandidatin uns nicht hinterm Ofen hervorzulocken vermag, wenn also gar nichts mehr geht und wir uns endgültig fühlen wie Patrick Bateman mit leergelaufener Kettensäge, dann können wir immer noch ein paar Deppen, die schon mal für RTL Würmer gefressen haben, live dabei beobachten, wie sie wiederum andere Deppen live beobachten, die gerade Würmer für RTL fressen. Der Trend der Stunde. Anderen Menschen beim fernsehen zuschauen – die ZEN-Meditation der Generation Duckface.

ds