Wir übergeben den Flammen die Werke von Kevin Spacey

Anders als ich an dieser Stelle locker-flockig prognostizierte, ist das Thema natürlich noch lange nicht durch. Es wäre wohl auch reichlich naiv, anzunehmen, Herr Weinstein wäre der einzige Schmuddelfink der Unterhaltungsindustrie gewesen. Und wenn es schon an der Spitze bröselt, sind die unteren Ebenen natürlich erst recht zum Abschuss freigegeben. Darf man sich als prominenter Schauspieler aus Gründen der allgemeinen Rufschädigung eigentlich auch selbst noch nachträglich aus einer Produktion herausschneiden lassen? Also zum Beispiel aus einem Film von Alfred Hitchcock, Roman Polanski oder Woody Allen? Wie ist das vertraglich geregelt?

Texte wie dieser fangen normalerweise mit einer moralischen Stellungnahme an. Wie also stehe ich nun dazu, dass sich Kevin Spacey Mitte der 80er Jahre mal besoffen auf einen 14-Jährigen Jungen gelegt haben soll? Oder dass sich Louis C.K. offenbar gerne vor seinen Kolleginnen einen runterholte? Verurteile ich das? Ich werde es Ihnen nicht verraten, denn genau das ist ein Teil des Problems im derzeitigen Empörungs-Karneval: dieser Drang zur Positionierung. Wo Spaceys frühere Arbeitgeber nur Schadensbegrenzung aufgrund befürchteter Umsatzeinbußen betreiben, tut eine großer Teil der dazugehörigen Branche weiterhin so, als ginge es hier ganz plötzlich um eine Null-Toleranz-Agenda im Sinne des Jugendschutzes und des Feminismus. Wie machen wir denn dann jetzt weiter, wo wir gerade beim großen Reinemachen sind? Vielleicht mit einer kleinen Bücherverbrennung? Ich denke da an die Werke von Paul Verlaine, der hatte bekanntermaßen ein sexuelles Verhältnis mit dem minderjährigen Arthur Rimbaud. Thomas Mann und Vladimir Nabokov, die alten Perverslinge, wären auch längst reif für den Scheiterhaufen – wehret den Anfängen! Und im Bereich der populären Musik sieht es dann richtig düster aus, am besten wir stampfen den gesamten Back-Katalog des letzten Jahrhunderts ein. Was für ein übler Haufen an Junkies und Päderasten!

„Vor 30, 40 Jahren hat man dem Künstler zugestanden, gewissermaßen ein halber Outlaw zu sein. Mittlerweile in unserer eben, wie ich sagen würde, hysterisch-bigott hypermoralisierten Gesellschaft, wo wir angeblich so viel toleranter sind und libertärer, erwarten wir von einem Künstler, dessen Antriebskraft natürlich auch das Abgründige sein muss, die Lust daran, über die Stränge massiv zu schlagen, – das sollen auf einmal alles brave Schwiegersöhne und Benimmlehrer sein? Das ist spießiger und furchtbarer als der Geist der 50er und 60er, wo der Bürger sagte, oh, oh, diese verkommenen Künstler, aber man ließ sie verkommene Künstler sein.“

(Thea Dorn im Interview mit dem Deutschlandfunk vom 10.11.2017)

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P.S. Kulturtipp des Tages: Halten Sie mal Auschau nach „Difficult People“, der großartigen Web-Comedy mit Billy Eichner, die seit mindestens drei Jahren Witze über Kevin Spaceys Privatleben reißt. You’re welcome!

La La Land ist abgebrannt

Über wen haben wir in dieser Woche viel zu wenig gelesen? Über Harvey Weinstein natürlich. Viel zu wenig über die schlüpfrigen Treffen in Hotelzimmern, über seinen offenen Bademantel, seine Zudringlichkeiten, seine Dauererektion und darüber, was das alles mit dem Filmgeschäft der letzten 20 Jahre gemacht hat. Da geht noch mehr, ganz sicher. Während viele A-Lister bereits ihre Oscars und Golden Globes wie Nazi-Memorabilia im Keller verstecken, melden sich noch immer neue Opfer zu Wort. Der Chor der Gedemütigten, Begrapschten und Empörten wird täglich größer. Wir wissen: in Zeiten von Social Media muss Schadensbegrenzung im Express-Tempo absolviert werden. Wer auch nur einen Tag zu lange mit einem Kommentar wartet, steht im Verdacht, die finsteren Umtriebe des Produzenten unterstützt zu haben und wird unweigerlich mit ihm im Strudel des PR-Desasters untergehen. Was denkt Heidi Klum? Warum schweigt Matt Damon? Hillary, what took you so long? Dabei kannten sie doch alle die Gerüchte und hatten sie so gut es ging ignoriert. Den Rest übernahm im Zweifelsfall Weinsteins Rechtsabteilung und die Kaffeekasse der Firma. Mitmachen, Klappe halten, Preise kassieren – ein gutes Geschäft für (fast) alle Seiten. So läuft das. Bis schließlich das Machtgefälle kippt und die Schweigegelder aufgebraucht sind. Irgendwann ist eben immer Schluß, Empires must fall. Und so befindet sich der dicke Harvey, das Monster und Arschloch der Stunde, nun im freien Fall. Und Hollywood ekelt sich vor sich selbst. Wir werden jetzt noch maximal eine Woche lang Kommentare, Statements, Abgrenzungen und Hashtag-Feminismus erleben. Danach wird das Gras gebeten, auch über diese Sache zu wachsen. So meine Prognose.

roberts_weinstein

Queer as Alice

Am Anfang war Volker Beck. Und Volker Beck war Gott. Und das Wort war bei Gott. Vor mehr als 20 Jahren durfte sich Gott, äh … ich meine Beck als einer der ersten offen homosexuellen Bundestagsabgeordneten noch regelmäßig von zotigen Konservativen beleidigen lassen. Heute haben die ihre eigenen Becks und Schwulenwitze leisten sie sich wahrscheinlich nur noch in den Umkleidekabinen ihrer Schützenvereine. Ja, heute sind sie überall, die selbstbewussten Power-Gays: in der CDU, in der FDP sowieso, bei Trump, und selbst die AfD hat jetzt ihre passend biedere Front-Lesbe. Ich sehe darin durchaus einen gesellschaftlichen Fortschritt, das meine ich ausnahmsweise mal ganz unironisch. Schließlich ist das System, in dem wir uns tummeln, auch in dem Maße erfolgreich, in dem es ehemalige Minderheiten zu assimilieren vermag. Auch Homosexuelle wollen gute Geschäfte machen, und das geht in den wirtschaftsnahen Parteien besser als in basisdemokratischen Häkelgruppen. Alice Weidel ist in ihrer Partei vor allem deshalb so gut aufgehoben, weil sie als Unternehmensberaterin ganz genau weiß, dass es der AfD in erster Linie noch immer um die Verteidigung von Privilegien und Besitzständen geht. Darum ging und geht es im politisch organisierten Rassismus immer. Nicht um Hautfarbe oder um Kultur (auch nicht um Homophobie), sondern immer und ausschließlich um wirtschaftliche Macht. Der „Fremde“ dient dabei wahlweise als billige Arbeitskraft oder gesellschaftlicher Buh-Mann, nützlich ist er auf jeden Fall. Die Flüchtlingskrise war ein Segen für Alice und ihren Verein, denn dadurch konnte sich die AfD blitzschnell von einem elitären Anti-Euro-Stammtisch zum Retter des deutschen Volkskörpers hochjazzen. Das wirklich queere daran ist wohl, dass ihnen den Quatsch tatsächlich jemand abkauft.

Und was ist mit Volker Beck? Die Ironie der bundesdeutschen Realpolitik wollte es, dass es letztlich eine CDU-Regierung war, die den ersten Homosexuellen sowie den ersten Mann mit Migrationshintergrund in ein Ministeramt beförderte, und dann auch noch die erste Frau ins Kanzleramt – praktisch in einem Abwasch und ganz ohne Quotenregelung. Ausgerechnet die CDU, die bis heute einen der wichtigsten Grundsätze jener freiheitlich demokratischen Ordnung, die sie immer so beherzt zu verteidigen vorgibt, nicht begriffen hat, nämlich die Trennung von Staat und Kirche. Bei der Abstimmung über Bürgerrechte spielt es nämlich keine Rolle, was einem die Bibel, der heilige Geist, Mutter Natur oder irgendein Druidenfürst einflüstert. Zumindest sollte es das nicht. Dennoch – und hier knallt nun die Ironie gänzlich durch die Decke – kann es eigentlich nur im Interesse der Grünen sein, dass sich die Kanzlerin bei der Durchsetzung der „Ehe für alle“ noch eine Weile ziert. Sonst wird ihnen bald auch noch das letzte zentrale Wahlkampf-Thema abgenommen. Wenn dann nicht möglichst schnell wieder irgendwo ein Atomkraftwerk explodiert, werden sie demnächst wohl nicht einmal mehr die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Fazit: Jesus ist mächtiger als die Quote und Fortschritt ist heute gleichbedeutend mit dem Untergang der Grünen. So war das alles ganz sicher nicht geplant. Aber das Leben verläuft ja selten nach Plan.

Helau & Fuck your feelings!

„I hurt people for a reason. I like to think of myself as a virtuous troll.“
(Milo Yiannopoulos)

Wie lange denke ich nun schon darüber nach, einen Kommentar zu diesem Knaben abzusondern? Eigentlich hatte ich mich längst dagegen entschieden. Die Nachricht über Milo Yiannopoulos‘ Trennung von Breitbart News (deren leitender Redakteur er immerhin für einige Jahre war) lässt mich nun aber meine Entscheidung spontan korrigieren. Gut, hier sind sie also, so knapp wie möglich: meine zwei Cent zu Milo, dem blondierten Suppenkasper der amerikanischen Alt-Right-Bewegung. Sehen Sie es einfach als meinen Beitrag zum diesjährigen Karneval – ein Elend, dass ich mir, ähnlich wie die Causa Milo, bisher glücklicherweise nur aus der Ferne zumuten musste. Anfangs hielt ich Milo für eine durchaus bereichernde Figur im öffentlichen Diskurs um Meinungsfreiheit und politische Korrektheit. „Fuck your feelings!“ lautet einer seiner munteren Schlachtrufe, mit anderen Worten: Befindlichkeiten sind keine Meinungen, und beleidigt zu sein ist noch keine politische Haltung. Schwul zu sein übrigens auch nicht. Weshalb Milo sich als libertärer Schwuler auch die Freiheit herausnahm, erzkonservative Ansichten zu vertreten und diese dann mit der eigenen Sexualität kontrovers aufzupimpen. Das war eine kurze Zeit lang auch recht unterhaltsam und hat genau diejenigen getriggert, die er damit triggern wollte. Seine „Dangerous Faggot“-Vorträge, die Ausstellung „Twinks for Trump“ – das hatte schon fast die Qualität Schlingensief’scher Aktionskunst. Vielleicht müsste Schlingensief heute ja auch ein Neurechter sein, um noch eine ähnlich subersive Strahlkraft zu erreichen. Irgendwann hatte Milo schließlich eine ganze Protestbewegung gegen sich und bei Twitter lebenslanges Hausverbot. Alle Achtung, das hat nicht mal die alte Schreckschraube Ann Coulter geschafft!

milo

Muss man eine solche Figur aushalten können? Grundsätzlich ja. Nur ist für mich inzwischen auch klar, dass der ganze reaktionäre Dreck, den er da verbreitet, für ihn letztlich nur Mittel zur Selbstvermarktung ist. Sein bizarrer Performance-Mix aus Hedonismus, Biederkeit, Zynismus und konservativer Empörung ergibt inhaltlich praktisch gar keinen Sinn. Es passt einfach nicht zusammen. Letzlich sehe ich da nur einen selbstverliebten Pausenclown, der sich einer rechten Revolution angebiedert hat, an deren Werte er selbst nicht glaubt. Und der mitgeholfen hat, eine Truppe ins Weiße Haus zu befördern, die heute dreimal so dogmatisch und dünnhäutig daher kommt, wie Milo es seinen Gegnern, den Snowflake Liberals, immer so gerne vorwirft. Den größten Witz in dieser ganzen bigotten Inszenierung stellt nun aber die Begründung für seine Kündigung bei Breitbart News dar. Nach einem Interview, in dem er sich offenbar über potentiellen Sex mit 13-jährigen Jungs geäußert hatte, zeigte Milo als bekennender Katholik plötzlich öffentliche Reue und entschuldigte sich für seine „unglückliche“ Wortwahl. Damit hat er wohl die Chance auf seinen ersten und einzigen authentischen Moment verpasst, denn wenn die katholische Kirche eine Kernkompetenz vorzuweisen hat, dann ja wohl Sex mit Minderjährigen. Helau!