Das hat mir der Teufel gesagt

Auf der Ringbahnstrecke zwischen Gesundbrunnen und Schönhauser Allee, Berlins größter öffentlicher Graffiti-Galerie, hat jemand EINZELTÄTER? an eine Mauer gepinselt. Ein Wort, eine Frage, in zwei Meter hohen Lettern. Ich lese das kurz nachdem ich die Dokumentation „Sons of Sam“ (man beachte den Plural im Titel) gesehen habe. Dort wird die These aufgewärmt, dass der berüchtigte „Son of Sam“ David Berkowitz eben kein Einzeltäter gewesen sei, und ich danke den dunklen Mächten des Universums wieder einmal für diesen hübschen kleinen Wink. Nennen Sie es Zufall, ich nenne es exzentrischen Magnetismus. Während die S-Bahn weiter rattert, denke ich also darüber nach, ob der pummelige New Yorker Postangestellte Berkowitz damals tatsächlich nur das Bauernopfer für ein landesweit operierendes okkultes Netzwerk war, so wie es der Journalist Maury Terry (um den es in „Sons of Sam“ eigentlich geht), bis zum Ende seines Lebens behauptet hat. Terry tingelte mit seiner Theorie jahrzehntelang durch die Öffentlichkeit, bei der Polizei stieß er trotz zahlreicher Indizien aber nur auf taube Ohren. Sein Buch „The Ultimate Evil“ wurde zum Bestseller und befeuerte die Satanismus-Panik der amerikanischen Medien Ende der 80er Jahre, als christliche Tugendwächter praktisch überall versteckte satanische Botschaften entlarvten, ob in rückwärts gespielten Heavy-Metal-Platten oder bei den Schlümpfen. Zur dieser Zeit saß David Berkowitz längst im Gefängnis und las brav die Bibel. Heute wird er 68 Jahre alt. Er teilt sich diesen Geburtstag unter anderem mit Marilyn Monroe, Morgan Freeman und Heidi Klum. Happy Birthday und Hail Satan! 

Letzten Donnerstag

„Tückische Mikroorganismen wären mein Wunschszenario für den Untergang der Welt. Sinngemäß in Form eines Flugreisenden, der sich im Urwald an einer winzigen Rasurnarbe mit einer seltenen Makakenkrankheit infiziert und sodann in einem Dutyfreeshop in Kuala Lumpur mit einer von Schmierkeimen kontaminierten Mastercard zahlt, die über die ungewaschenen Hände der dort prekär beschäftigten Kassenkraft auf eine Stange Dunhill-Zigaretten übertragen werden und sich schließlich im Hirn eines in Reykjavík lebenden Dalmatiners zu einer hochinfektiösen Hühnergrippe rekombiniert, die mittels einer einzigen Charge Chicken McNuggets, die einer McDonalds-Filiale in Dinslaken mangelhaft erhitzt wurde, schließlich die Menschheit ausradiert. Eine zeitgemäße Landplage, die der Menschheit im pandemischen Todeskampf ihre moralischen Verfehlungen aufzeigt – recht biblisch also.“

So prophetisch äußerte sich der ehrenwerte Blogger Her NO in einem Interview, das ich mit ihm anlässlich eines möglichen Weltuntergangs 2012 führte. Es stammt aus einem kleinen publizistischen Projekt, dass ich damals verfolgte. Leider hat Herr NO (dessen bürgerliche Identität mir bekannt ist, die hier aber niemanden etwas angeht, Sie mögen verzeihen) auf hightatras.org seit nunmehr drei Jahren keine Texte mehr veröffentlich. Aber auch davon geht die Welt nicht unter, ebenso wenig wie durch’s Wetter, durch Donald Trump oder durch Lisa Eckhart. Unverwüstlich ist er, dieser sture kleine Planet. Trotzdem haben die Apokalyptiker natürlich weiterhin Konjunktur. Tatsächlich ist der Weltuntergang eine krisensichere Branche, dort herrscht immer Ausnahmezustand, Endkampf und Schlussverkauf. Was sowohl das Ende als auch den Ursprung unserer Welt angeht, habe ich mich inzwischen dem Last-Thursdayism angeschlossen. Das Universum wurde am letzten Donnerstag erschaffen und wird pünktlich am nächsten Donnerstag wieder implodieren. Alle Anzeichen für eine längere Historie sind nichts weiter als Täuschungen. Das scheint mir die vernünftigste Antwort auf die Fragen und Nöte der Menschheit zu sein. Spalter und Abweichler wie die Last-Tuesday- und Wednesdayisten werden von unserer Bewegung auf’s energischste bekämpft, die Kirche der Last-Saturdaynight-Feveristen wird dagegen nicht ernst genommen, diese Leute sind uns wirklich zu albern.

Es folgen einige nachträgliche Kulturtipps, von mir für Sie exklusiv und gebührenfrei in Ihre vollgefurzten kleinen Quarantäne-Höhlen gefunkt.

Das deutsche Kultur-Highlight des Jahres – Desiree Nick beleidigt Sido für 99 Euro: „Danke, das du mit deinen Gossen-Songs eine ganze Generation deutscher Jungs in asoziale Penner verwandelt hast! Dann kam Fridays For Future, dann kam Corona, jetzt geht keiner mehr zur Schule!“ 

Meinen Jahresrückblick hatte ich ja bereits im August abgeliefert. Beim Pestarzt las ich nun noch das Best of Shitstorms 2020: „Da oben stehen sie und predigen. Gift und Galle. Tod und Teufel. Pest und Nazis. Von ihrer Kanzel. Aufgebracht. Entrüstet. Todernst. Woke bis in die Haarspitzen.“

Ja, sie stürmen immer noch, rufen zum Boykott und errichten Online-Pranger – nichts Neues also. Seit Jahren halten ein paar selbstgerechte Dauertwitterer und mediale Krawallschachteln (Apokalyptiker*innen inklusive) die Erregungsmaschine Internet mit ihrem hochgejazzten Murks in Schach, und alle spielen mit, springen über’s Stöckchen, immer wieder. Weil sie sich angesprochen fühlen, herausgefordert, getriggert, getreten und zugetrötet. Dabei wäre es so leicht, das Ganze zu ignorieren. Die einfachste Sache der Welt. Wer sind diese Leute? Warum sind die wichtig? Wer will das hören? Lassen wir sie krakeelen in ihren schalldichten Förderblasen. Irgendwann schreien die sich nur noch gegenseitig an. Weisses Rauschen.

Ich habe Tschick von Wolfgang Herrndorf gelesen, mit zehnjähriger Verspätung. Es lag gerade irgendwo rum. Ein sehr gutes Buch. Ich musste an den Fänger im Roggen denken. Sehr schade, dass Herrndorf nicht so lange durchgehalten hat wie J.D. Salinger. Und ich habe Mindhunter auf Netflix geglotzt. Mein Interesse an Serienkillern hatte ich hier schon angedeutet, Mindhunter ist gewissermaßen die Jahreshauptversammlung legendärer Serienkiller – ein ästhetisches und psychologisches Meisterwerk aus dem Hause David Fincher. Ich werde an dieser Stelle aber keine Trailer verlinken, da die der Serie in keiner Weise gerecht werden. Das Ding ist außerdem auch schon wieder zwei oder drei Jahre alt. Ich weiß nicht, warum ich mir so viele Sachen erst mit derart epischer Verspätung zu Gemüte führe. Ich habe eben meinen sehr eigenen Rhythmus. 

In spätestens zehn Jahren werde ich vielleicht auch den großen Quotenhit 2020 nachholen, Corona: Judgement Day. Dann werde ich mir 24 Stunden am Tag bunte Diagramme anschauen und pflichtbewusst so tun als sei die Pest ausgebrochen, versprochen. Ich werde mich zuhause einschließen und panisch in die Teppichkante beißen. Prekäre Lieferboten werden mich regelmäßig mit frischen Hashtags und Impfspritzen versorgen. Ich werde Listen anlegen, Listen über meine Kontakte und über mein Fehlverhalten („Einen Spiegel! Dass ich mir in die Fresse speien kann!“), vor allem aber über das Fehlverhalten meiner Nachbarn, über all die Ketzer und Zweifler und Oma-Mörder (Nieder mit den Last-Tuesday- und Wednesdayisten!). Schließlich werde ich mich selbst mumifizieren und in ein tiefes Erdloch eingraben, sicher ist sicher. Solidarische Grüße aus der Gruft! #stayhome … In der zweiten Staffel (Corona: Die Auferstehung) werde ich dann wieder ausgebuddelt, wahrscheinlich an einem Donnerstag. Auf der Erdoberfläche haben Luisa, Carola und Simon-Sören-Zacharias währenddessen ihren glutenfreien Windmühlen-Sozialismus errichtet – sauber, fair und virenfrei, ein Paradies auf Erden. Recht biblisch also. 


Der Weltuntergang als Running Gag in der Radikalen Heiterkeit:

Wer nicht hüpft, der ist für Kohle! (März 2019)
… umso mehr sind wir des Beifalls sicher (April 2017)


Zum Feste nur das Beste – famose Texte aus dem Archiv des Herrn NO (2008-2011):

Herr No übt Medienkritik und befleißigt sich dabei des Stilmittels der sogenannten spitzen Feder

Die Sintflut ist der Hochdruckreiniger des Herrn

Herr No entlarvt den Begriff der Schönheit erneut als sinnlos

Sie erhalten Anschluss an den ICE Friedrich Nietzsche aus Gleis 7


Abbildung oben: Screenshot aus Mindhunter