Ausgehitlert

Ich verstehe nicht, wo er bleibt. Immer diese Unpünktlichkeit!
Seit Stalingrad liegt er besoffen im Bett und ignoriert die Essenszeiten.

(aus „100 Jahre Adolf Hitler“, Christoph Schlingensief, 1989)


Dreimal hat Udo Kier jetzt bereits den Führer gespielt. Zuerst in Schlingensiefs chaotischer Low-Budget-Farce, dreißig Jahre später dann in dem per Crowdfunding finanzierten Science-Fiction-Trash „Iron Sky: The Coming Race“ und schließlich ganz aktuell in der zweiten Staffel von „Hunters“, die vor wenigen Tagen erst auf Amazon Prime veröffentlicht wurde. Immer wieder Hitler. Vielleicht sind es seine stechenden blauen Augen. Vielleicht ist er aber auch einfach nicht besonders wählerisch. Mir ist wirklich keine andere Schauspieler-Vita bekannt, die derart umfangreich ist und so schmerzfrei zwischen B-Movies, Independent-Kino, Trash und Mainstream hin- und her pendelt wie die von Udo Kier. Für Andy Warhol hat er vor der Kamera gestanden, für Fassbinder, Lars von Trier, Dario Argento, Gus Van Sant und für Madonna.

Eva Braun und Adolf Hitler, kurz nach ihrer Hochzeit im Bunker (Szene nachgestellt)


Nun also „Hunters“: in dieser Serie geht es um eine illustre Gruppe von Nazijägern im New York der späten 70er Jahre. Stilistisch ist das Ganze eine schwer verunfallte Mischung aus infantilem Agentenhriller, Superhelden-Saga und moralischer Abrechnung, irgendwo zwischen „Suicide Squad“ und „Schindlers Liste“. In der ersten Staffel lässt sich das noch einigermaßen ertragen. Außerdem gibt es am Ende einen netten kleinen Plot-Twist, den ich hier allerdings nicht verraten werde – es soll ja Leser geben, die sich von solchen Kritiken nicht abgeschreckt, sondern eher ermutigt fühlen.

Was es zum Abschluss der ersten Staffel aber auch gibt, ist eine Ankündigung: Die Jäger sind noch nicht am Ziel, denn irgendwo in der argentinischen Pampa hat sich doch tatsächlich Adolf Hitler versteckt! Vorhang auf für eine mehrstündige Tour de Force der sowohl historischen als auch cineastischen Fremdscham. Es funktioniert einfach nicht. Die ganze Serie funktioniert nicht. Weil sie sich nie so richtig zwischen Realismus, Pathos und Pulp Fiction entscheiden kann. Und weil wer auch immer hinter diesem teuer aufgebrezelten Murks steckt, eben nicht das Talent von Quentin Tarantino besitzt. Dabei mag ich Tarantino nicht einmal besonders. Erwähnt werden muss leider auch noch, dass hier eine ganz Riege hochkarätiger Schauspiel-Legenden verbraten wird (unter anderem Al Pachino, Jennifer Jason Leigh und Lena Olin), denen ich nur wünschen kann, dass sich „Hunters“ irgendwann gnädig in die weniger frequentierten Archive der Filmgeschichte verabschieden wird. Aber ach, auch am Ende der zweiten Staffel gibt es eine Art Cliffhanger! Eine weitere Fortsetzung ist also nicht auszuschließen. Wird das Vierte Reich doch noch auf dem Mond errichtet? Muss Adolf sich vorher noch in der Gefängnisdusche vergewaltigen lassen? Wie auch immer, Udo Kier wird auch das nicht anfechten, er hat das schließlich alles schon durch.

Hitler im Film oder auf der Bühne – das funktioniert wohl bestenfalls noch als absurd überhöhte Projektionsfläche. So wie bei Schlingensief. Oder in Mel Brooks „The Producers“ (1967). Dort dient der Führer nur noch als Idee für ein durchgeknalltes Musical („Springtime for Hitler“), von dem sich seine Produzenten den ultimativen Flop erhoffen, das am Ende aber zum überraschenden Triumph einer eitlen schwulen Theater-Diva gerät: I’m the German Ethel Merman, don’t you know …

Gary Beach in der Neuverfilmung von „The Producers“ (2005)


Kill your Idols!

Oh, I’m so mad I’m getting old
It makes me reckless
(Adele, When we were young)

Nein, es geht hier nicht ums Älter werden, Gott bewahre! Worum geht es dann? Um Theater, ta-dah! Vorhang auf! Gestern wurde in der deutschen Presse feierlich des Attentates auf Rudi Dutschke vor fünfzig Jahren gedacht. Nicht ganz so lange ist es her, dass ich mit „Rocky Dutschke ’68“ mein Schlingensief’sches Erweckungserlebnis in der Berliner Volksbühne hatte. Ein Erweckungserlebnis? Das klingt pathetisch und ist wahrscheinlich maßlos übertrieben, aber auch ich stehe schließlich auf einer Art Bühne und muss darauf achten, dass meine Zuschauer nicht einschlafen. Ich habe immer noch das Programmheft von damals. Die Volksbühne war in den 90er Jahren ein zentraler Teil der Berliner Popkultur und ich war, so oft es ging, mit dabei. Sie haben in diesem Haus praktisch alles angestellt, außer es in die Luft zu sprengen. Ich erinnere mich daran, wie Christoph uns mit seinem Megaphon durch die Zuschauerränge jagte, wie Sophie Rois die Bühne zusammenbrüllte, wie die ehemalige Psychiatrie-Patientin Kerstin ihren erschütternden Monolog hielt zu einer Ballade von Michael Jackson oder wie Bernhard Schütz sich mit der ersten Reihe prügelte, blutige Nasen inklusive. Nie war ich von einer Aufführung so gut unterhalten und gleichzeitig mental durch den Fleischwolf gedreht worden. Vieles mischt sich wahrscheinlich auch mit Erinnerungen an andere Spektakel, an „Rosebud“ oder die „Schlacht um Europa“. Aber das ist egal. Ich muss damit aufhören. Ich wollte doch nie zu einem dieser ergrauten Berufsjugendlichen werden, die einem immer auf die Nerven gehen mit ihren Berichten von der wilden alten Zeit, damals in Woodstock, in New York, London, Westberlin, auf Ibiza oder dem Rosa-Luxemburg-Platz.

Das Ende dieser alten Volksbühne hat mich letztes Jahr ziemlich kalt gelassen. Immerhin hielt diese Ära ganze 25 Jahre an, ein viertel Jahrhundert. Irgendwann ist alles zu Ende dekonstruiert, ausgekotzt und auf den Kopf gestellt. Nicht dass ich jüngeren Generationen solche Erlebnisse nicht gönnen würde. Aber diese waren nun mal leider an sehr spezifische Personen und einen Zeitgeist gebunden, der sich nicht ewig konservieren lässt. Die Party ist vorbei, die alten Helden sind tot oder entzaubert. Was bleibt, ist ein nostalgisches Kasperle-Theater, ein Spuk. Genau das war es, was Schlingensief uns damals mit seiner Dutschke-Performance vermitteln wollte.