Was ist sexier: sich halbnackt an ein Kreuz nageln zu lassen oder sich in orangefarbenen Warnwesten gekleidet auf eine Straßenkreuzung zu kleben? Ich denke, die Antwort dürfte eindeutig sein. Seit mehr als zweitausend Jahren geistert nun schon der blutige Leidensweg des Jesus von Nazareth durch die Kultur- und Religionsgeschichte und das extremste, was seinen geistigen Erben, den Klimajüngern, heute einfällt, sind Pattex, Tomatensuppe und Verkehrsstaus. Wer die Menschheit erretten bzw. deren Gehirne entsprechend ideologisch waschen möchte, braucht aber mehr Lametta, Blut und Gore, sprich: kräftigere Narrative. Von einer Religion, deren Logo immerhin ein römisches Folterinstrument darstellt, sollte man in der Beziehung eigentlich mehr erwarten können. Der letzte unterhaltsame Impuls kam hierzulande wohl noch von Klaus Kinski. Seitdem hören wir aus der Richtung nur noch bieder-solidarische Haltungsgesänge: Jesus hätte sich impfen lassen, Jesus hätte Panzer geliefert, Jesus hätte die Grünen gewählt. Das Christentum als Nutte der Politik, das hat immerhin Tradition.
„Tückische Mikroorganismen wären mein Wunschszenario für den Untergang der Welt. Sinngemäß in Form eines Flugreisenden, der sich im Urwald an einer winzigen Rasurnarbe mit einer seltenen Makakenkrankheit infiziert und sodann in einem Dutyfreeshop in Kuala Lumpur mit einer von Schmierkeimen kontaminierten Mastercard zahlt, die über die ungewaschenen Hände der dort prekär beschäftigten Kassenkraft auf eine Stange Dunhill-Zigaretten übertragen werden und sich schließlich im Hirn eines in Reykjavík lebenden Dalmatiners zu einer hochinfektiösen Hühnergrippe rekombiniert, die mittels einer einzigen Charge Chicken McNuggets, die einer McDonalds-Filiale in Dinslaken mangelhaft erhitzt wurde, schließlich die Menschheit ausradiert. Eine zeitgemäße Landplage, die der Menschheit im pandemischen Todeskampf ihre moralischen Verfehlungen aufzeigt – recht biblisch also.“
So prophetisch äußerte sich der ehrenwerte Blogger Her NO in einem Interview, das ich mit ihm anlässlich eines möglichen Weltuntergangs 2012 führte. Es stammt aus einem kleinen publizistischen Projekt, dass ich damals verfolgte. Leider hat Herr NO (dessen bürgerliche Identität mir bekannt ist, die hier aber niemanden etwas angeht, Sie mögen verzeihen) auf hightatras.org seit nunmehr drei Jahren keine Texte mehr veröffentlich. Aber auch davon geht die Welt nicht unter, ebenso wenig wie durch’s Wetter, durch Donald Trump oder durch Lisa Eckhart. Unverwüstlich ist er, dieser sture kleine Planet. Trotzdem haben die Apokalyptiker natürlich weiterhin Konjunktur. Tatsächlich ist der Weltuntergang eine krisensichere Branche, dort herrscht immer Ausnahmezustand, Endkampf und Schlussverkauf. Was sowohl das Ende als auch den Ursprung unserer Welt angeht, habe ich mich inzwischen dem Last-Thursdayism angeschlossen. Das Universum wurde am letzten Donnerstag erschaffen und wird pünktlich am nächsten Donnerstag wieder implodieren. Alle Anzeichen für eine längere Historie sind nichts weiter als Täuschungen. Das scheint mir die vernünftigste Antwort auf die Fragen und Nöte der Menschheit zu sein. Spalter und Abweichler wie die Last-Tuesday- und Wednesdayisten werden von unserer Bewegung auf’s energischste bekämpft, die Kirche der Last-Saturdaynight-Feveristen wird dagegen nicht ernst genommen, diese Leute sind uns wirklich zu albern.
Es folgen einige nachträgliche Kulturtipps, von mir für Sie exklusiv und gebührenfrei in Ihre vollgefurzten kleinen Quarantäne-Höhlen gefunkt.
Das deutsche Kultur-Highlight des Jahres – Desiree Nick beleidigt Sido für 99 Euro: „Danke, das du mit deinen Gossen-Songs eine ganze Generation deutscher Jungs in asoziale Penner verwandelt hast! Dann kam Fridays For Future, dann kam Corona, jetzt geht keiner mehr zur Schule!“
Meinen Jahresrückblick hatte ich ja bereits im August abgeliefert. Beim Pestarzt las ich nun noch das Best of Shitstorms 2020: „Da oben stehen sie und predigen. Gift und Galle. Tod und Teufel. Pest und Nazis. Von ihrer Kanzel. Aufgebracht. Entrüstet. Todernst. Woke bis in die Haarspitzen.“
Ja, sie stürmen immer noch, rufen zum Boykott und errichten Online-Pranger – nichts Neues also. Seit Jahren halten ein paar selbstgerechte Dauertwitterer und mediale Krawallschachteln (Apokalyptiker*innen inklusive) die Erregungsmaschine Internet mit ihrem hochgejazzten Murks in Schach, und alle spielen mit, springen über’s Stöckchen, immer wieder. Weil sie sich angesprochen fühlen, herausgefordert, getriggert, getreten und zugetrötet. Dabei wäre es so leicht, das Ganze zu ignorieren. Die einfachste Sache der Welt. Wer sind diese Leute? Warum sind die wichtig? Wer will das hören? Lassen wir sie krakeelen in ihren schalldichten Förderblasen. Irgendwann schreien die sich nur noch gegenseitig an. Weisses Rauschen.
Ich habe Tschick von Wolfgang Herrndorf gelesen, mit zehnjähriger Verspätung. Es lag gerade irgendwo rum. Ein sehr gutes Buch. Ich musste an den Fänger im Roggen denken. Sehr schade, dass Herrndorf nicht so lange durchgehalten hat wie J.D. Salinger. Und ich habe Mindhunter auf Netflix geglotzt. Mein Interesse an Serienkillern hatte ich hier schon angedeutet, Mindhunter ist gewissermaßen die Jahreshauptversammlung legendärer Serienkiller – ein ästhetisches und psychologisches Meisterwerk aus dem Hause David Fincher. Ich werde an dieser Stelle aber keine Trailer verlinken, da die der Serie in keiner Weise gerecht werden. Das Ding ist außerdem auch schon wieder zwei oder drei Jahre alt. Ich weiß nicht, warum ich mir so viele Sachen erst mit derart epischer Verspätung zu Gemüte führe. Ich habe eben meinen sehr eigenen Rhythmus.
In spätestens zehn Jahren werde ich vielleicht auch den großen Quotenhit 2020 nachholen, Corona: Judgement Day. Dann werde ich mir 24 Stunden am Tag bunte Diagramme anschauen und pflichtbewusst so tun als sei die Pest ausgebrochen, versprochen. Ich werde mich zuhause einschließen und panisch in die Teppichkante beißen. Prekäre Lieferboten werden mich regelmäßig mit frischen Hashtags und Impfspritzen versorgen. Ich werde Listen anlegen, Listen über meine Kontakte und über mein Fehlverhalten („Einen Spiegel! Dass ich mir in die Fresse speien kann!“), vor allem aber über das Fehlverhalten meiner Nachbarn, über all die Ketzer und Zweifler und Oma-Mörder (Nieder mit den Last-Tuesday- und Wednesdayisten!). Schließlich werde ich mich selbst mumifizieren und in ein tiefes Erdloch eingraben, sicher ist sicher. Solidarische Grüße aus der Gruft! #stayhome … In der zweiten Staffel (Corona: Die Auferstehung) werde ich dann wieder ausgebuddelt, wahrscheinlich an einem Donnerstag. Auf der Erdoberfläche haben Luisa, Carola und Simon-Sören-Zacharias währenddessen ihren glutenfreien Windmühlen-Sozialismus errichtet – sauber, fair und virenfrei, ein Paradies auf Erden. Recht biblisch also.
Der Weltuntergang als Running Gag in der Radikalen Heiterkeit:
Have a drink. Lighten up. You could die soon. (Bianca Del Rio)
Die Natur ist dem Menschen ein kostbares Gut, ganz besonders die frische Atemluft – daran werde ich immer dann erinnert, wenn ich in eine Berliner S-Bahn einsteige. Wir müssen dankbar sein für jeden Atemzug, der uns noch bleibt, denn eigentlich sind wir längst am Ende. Die Atmosphäre, das Grünzeug, das Wetter, der ganze Planet sind doch schon völlig hinüber. Nach dem, was man so hört. Es ist nicht mehr fünf vor Zwölf, es ist fünf Minuten nach Weltuntergang. Wir sollten uns längst panisch in ein Erdloch verkrochen haben, aufhören herumzureisen, zu twittern und die Klospülung zu betätigen. Wir sollten unsere Smartphones wegschmeißen, uns von selbstgezüchteten Rübchen ernähren und schließlich darauf hoffen, dass die Apokalypse sich so noch gnädig umkehren lässt. Stattdessen machen einfach alle weiter wie bisher. So geht das doch nicht!
Vor zehntausend Jahren (grobe Schätzung), als die Luft noch jungfräulich rein war und die Menschen mit Tierfellen bekleidet durch das Ende der Eiszeit stapften, da huldigten sie den Naturgewalten wie Göttern. Überhaupt war ja der Götterglaube ursprünglich stark ans Wetter gebunden. Sonne, Regen, Sturm und Donner wurden wahlweise als Belohnung oder als Strafmaßnahme für menschliches Verhalten interpretiert. Der Klima-Aktivismus unserer Tage propagiert die Erbsünde inzwischen zwar lieber mit akademischen Studien als mit der Bibel, das Prinzip ist aber ähnlich. Früher wurden wir halt für aufmüpfige Fragen oder abweichende Sexualpraktiken bestraft, heute für den Konsum von Plastik und Cheeseburgern. Die Krise der Kirche ist eine institutionelle, aber keine Glaubenskrise. Denn glauben wollen die Menschen weiterhin leidenschaftlich und wahrhaftig, am liebsten an die eigene Schuld und Schlechtigkeit. Na gut, eigentlich an die des Nachbarn, der Schwiegermutter, der Regierung, der Männer oder ganz einfach an die Schuld aller Erwachsenen – die sind schließlich schon länger am Leben, die alten Pottsäue! Was glauben Sie, liebe Gemeinde: welche Rolle spielt eigentlich der Ausstoß von Kohlendioxid für die langfristige Entwicklung des Klimas auf der Erde? Hilft es Ihnen vielleicht, das mal von ein paar kulleräugigen Teenagern erklärt zu bekommen? Haben Sie jetzt endlich Angst? Sie müssen die Angst spüren, sonst wird das nichts mit der Weltverbesserung. Die beliebte bayerische Social-Media-Influenzerin Katharina Schulze forderte im letzten Wahlkampf „mehr Emotionen“ in der Politik. Ja, noch mehr Emotionen. Als gäbe es nicht längst diesen komplett infantilisierten, durchgehashtagten, auf solides Teletubby-Niveau heruntergedummten Zirkus, mit dem uns die angesagten Panik-Themen täglich neu verkauft werden. Aber auch das ist ja nicht neu, wir erinnern uns an Karl, den Käfer. Der wurde bekanntlich nicht mal gefragt … vor allem nicht, ob er seine Vita für einen schlechten Öko-Schlager missbrauchen lassen möchte. Wahrscheinlich hieß er nicht mal Karl. Aber ich schweife ab. Politische Propaganda greift nun mal traditionell gerne auf Kinder, Käfer und auch Entenbabies zurück, um zu überzeugen. Und „wer nicht hüpft, der ist für Kohle!“ (Neulich auf einem #FridaysForFuture-Account gelesen, Rechtschreibung verbessert.) Amen.