Ich kaufe mir eine Zeitung

Ich habe mir in dieser Woche die Berliner Zeitung gekauft. Es war nur eine einzige Print-Ausgabe, aber da ich das so selten tue, halte ich es für eine sehr bemerkenswerte Mitteilung. Es geht mir da wohl ähnlich wie den neuen Besitzern des Blattes (die in eben jener Ausgabe auch vorgestellt wurden). Nach eigenen Angaben lesen Bruder Rauschebart und Gattin seit 15 Jahren keine Berliner Zeitung mehr. Und haben deshalb gleich mal den gesamten Verlag gekauft. Das Ehepaar Friedrich beschreibt die Investition als „zivilgesellschaftliches Engagement in bewegten Zeiten“. Hui, hallo, hurra! Engagiert, zivil, Gesellschaft, bewegt, Zeiten und so … was man eben in so einem Fall öffentlich verkündet. Wahrscheinlich haben sie den Laden gerade einfach nur sehr günstig ersteigert (der Vorbesitzer versucht ihn schließlich schon seit Jahren wieder abzustoßen), aber das klingt natürlich viel zu profan.

Waschtag

Im Waschsalon hat jemand ein englisch-russisches Wörterbuch neben einer angefangenen Packung Trocknertücher liegengelassen. Ich sehe dies als hilfreiche Fügung. Nein, meine Russischkenntnisse möchte ich gerade nicht auffrischen, aber ich muss jetzt unbedingt mal eines dieser dünnen Tücher der Marke Lenor Aprilfrisch ausprobieren, für mich eine Premiere. Also rein mit dem Teil in den Trockner – wenn das Universum Anweisungen erteilt, darf ich nicht lange zögern! Den Rest der Packung hinterlasse ich der schlecht duftenden Nachwelt, Sharing is caring, in mir schlummert vielleicht doch noch ein Kommunist, Дружба, товарищи! Die Wartezeit verbringe ich im Café nebenan. Keine zwei Minuten vergehen und es passiert, was passieren muss: eine lippengepiercte Ökoschlunze jenseits der vierzig führt direkt vor mir eine öffentliche Erziehungs-Performance auf. „Kilian-Alexander, wir hatten doch eine Vereinbarung!“ ruft sie ihrem etwa 2-jährigen Sohn energisch zu, der nur orientierunglos in die Gegend grinst. Welche Vereinbarung er offenbar gerade nicht eingehalten hat, ist weder mir als Zuschauer noch dem Kleinen selbst klar. Wer weiß, wie viele er schon eingehen musste, alle notariell beglaubigt und wahlweise mit Nabelschnurblut oder veganen Fingermalfarben unterschrieben, da kann man schon mal durcheinander kommen. Ich denke kurz darüber nach, der nervigen Mutter eines der aprilfrischen Trocknertücher in den Mund zu stopfen, da sehe ich ein Buch aus ihrem Rucksack ragen, „Schmerzen verstehen“, und schon tut sie mir wieder ein ganz klein wenig leid. Am Nachbartisch sitzen zwei Experten vom Typ gescheiteter Startup und reden unbeirrt über den nächsten Finanzcrash. Der wird uns wohl spätestens Ende 2020 in den Abgrund reißen. Vielleicht auch erst 2021 oder 2022, die Beiden sind sich noch nicht ganz einig. Auf jeden Fall stehen die Zwanziger Jahre wieder vor der Tür und wer schlau ist, investiert jetzt noch schnell in Gold, ausländische Währungen oder in ein Ticket für Elon Musks Weltraum-Taxi. Denn im All gibt es keine faulen Kredite und keine EZB. Noch nicht. Vielleicht wird Kilian-Alexander ja eines Tages Hedgefont-Manager auf dem Mars – das wäre doch eine schöne Alternative zu dem ihm vorgezeichneten Weg (Erasmus-Studium, Fair-Trade-Praktika, Ödipus-Komplex) … Der wertvollste Finanztipp, den ich je erhalten habe, lautete übrigens: Warum versuchen Sie etwas zu sparen, das andere jederzeit nachdrucken können? Kurz darauf sitze ich schon wieder daheim, schnuppere an meiner tatsächlich dezent frühlingsfrischen Wäsche, höre dazu Musik und kippe meine schmutzigen Gedanken ins Internet. Das ist hier ja auch nichts anderes als eine mentale Waschmaschine im permanenten Schleudergang.

Gangster des Jahres

„Bei einer Geldautomaten-Sprengung in Düren sollen die Täter aber auch einen Rest von Rücksicht gezeigt haben. Die Männer wollten dort den Automaten im Vorraum einer Bank per Fernzündung sprengen. Alles war vorbereitet. An dem Tag schlief in dem Raum aber ein Obdachloser. Die Täter sollen ihn geweckt und ihm nahegelegt haben, er solle besser gehen. Als der Mann sich weigerte, trugen sie ihn gemeinsam nach draußen – und sprengten erst dann den Geldautomaten.“
(Quelle: FAZ, 26.08.2017)


Gangster ist nicht gleich Gangster, so viel sollte klar sein. Motivation und Methodik unterscheiden den vornehm gesinnten Kriminellen vom verkommenen Subjekt. Mit anderen Worten: Egon Olsen ist nicht gleich Jeffrey Dahmer. Na, Sie wissen schon, was ich meine. Auf dem moralisch untersten Treppchen des illegalen Schaffens – darauf können sich wohl die meisten von uns einigen – stehen Menschen, die z.B. aus reinem Sadismus heraus Obdachlose anzünden. Auf dem allerobersten Treppchen aber stehen jene, die einen Obdachlosen erst einmal galant in Sicherheit tragen, bevor sie zur eigentlichen Tat schreiten. Und das, liebe FAZ-Redaktion, ist wohl mehr als nur ein „Rest von Rücksicht“, das grenzt schon an ehrenamtliches Engagement! Sollte sich bei den Ermittlungen auch noch herausstellen, dass bei der Sprengung fair gehandeltes Dynamit aus nachhaltigem Anbau zum Einsatz kam, sollte sich die Stadt Düren nicht scheuen, den edlen Räubern einen angemessenen Preis zu überreichen. Die Jugend braucht neue Vorbilder!

Künstliche Intelligenz (Dauerverträge für Daueraufgaben)

„The Future. Together. Now.“ So tönte vor einigen Jahren die Versicherungsgruppe AXA. Für solche Slogans kassieren Werbeagenturen richtig üppige Honorare. In diesem Fall war es die ehrwürdige Agentur DDB. Die können so etwas wirklich gut, ihr eigener Slogan lautet „Imagine. Inspire. Influence“. Nonsens im Dreiklang, das verkauft sich immer gut. Wo war ich? Ach ja: The Future. Ich wollte eigentlich etwas über die Zukunft schreiben, genauer gesagt über die „Zukunft der Arbeit“ – ein bewährtes Saure-Gurken-Thema, zu dem ich nach der Lektüre einer alten WIRED-Ausgabe inspiriert wurde. Alle paar Monate taucht diese Frage in einem Feuilleton oder einem Wirtschaftsmagazin auf: Wie werden die Menschen in der Zukunft arbeiten? Werden sie überhaupt noch arbeiten? Die allgemein gängige Prognose lautet: eher nicht. Zumindest nicht mehr gegen Bezahlung. Wir steuern eindeutig auf die vollständige Abschaffung der Erwerbsarbeit zu. Wenn Sie nicht bereits von einem Roboter ersetzt wurden, müssen Sie wohl irgendwann einem Algorithmus oder einer Drohne weichen – egal, ob Sie derzeit noch auf Knöpfchen drücken, Excel-Tabellen anstarren oder hauptberuflich Werbeslogans verzapfen. Der Mensch ist überflüssig. Schon heute wird der Arbeitsmarkt, so behaupte ich mal ganz frech, zu einem großen Teil nur noch durch leidlich finanzierte Beschäftigungstherapien zusammengehalten. Effektiv betrachtet, liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland wahrscheinlich längst bei 75 Prozent.

Im „Besetzungsmanifest“ des sozialwissenschaftlichen Institutes der Berliner Humboldt-Uni las ich neulich die Forderung an den Senat, „Dauerverträge für Daueraufgaben“ einzurichten. Genau so stand es da. Wie könnten solch dauerhafte Aufgaben denn aussehen? Die angehenden Sozialwissenschaftler formulieren es unter anderem so: „Hier diskutieren wir, kochen, feiern, putzen und machen Kunst. Wir vertrauen einander und unterstützen uns gegenseitig. Wir leisten Widerstand. Wir sind politisch.“ Und das Ganze bitte in Dauerschleife. So erfährt die Idee der „Künstlichen Intelligenz“ eine neue und gar schillernde Deutung. Was bitte wäre eigentlich der Unterschied zwischen einer solchen staatlichen Dauerversorgung und einem bedingungslosen Grundeinkommen? Letzteres würde ich auf jeden Fall unterstützen, gerade für die überspannten Hashtag-Revolutionäre in den öffentlichen Lehranstalten. Niemand sollte sich mehr zwanghaft für die Sinnhaftigkeit seines Tuns verantworten müssen. Was das an Papier und Nerven sparen würde! Wir diskutieren, wir kochen, feiern, putzen und machen Kunst. Bis in alle Ewigkeit. Den Rest erledigen die Algorithmen. The Future. Together. Demnächst.

Oben der Himmel, unten der Zaster

Evan Spiegel, 26, Snapchat-Gründer und derzeit jüngster Selfmade-Milliardär der Tech-Branche, gibt pro Jahr angeblich eine knappe Million Dollar für seinen Personenschutz aus. Das erscheint sinnvoll, denn mit dem Reichtum, zumal in solchen Dimensionen, wächst auch die Zahl derer, die einem auf die Pelle rücken: gute alte „Bekannte“, Speichellecker, Steuerfander, Raubmörder und am schlimmsten: ehemalige Geschäftspartner. Einen seiner Mitgründer musste Evan Spiegel kürzlich nach einem gerichtlichen Vergleich mit über 150 Millionen Dollar abfinden. Damit der endlich Ruhe gibt. Irgend jemand bleibt beim digitalen Goldrausch eben immer auf der Strecke. Man erinnere sich an Mark Zuckerberg und die berüchtigten Winklevoss-Zwillinge. Letztere mussten sich damals im Facebook-Streit mit läppischen 65 Millionen zufrieden geben. Und die mussten sie sich auch noch teilen, die Armen. Wer sich heute im Kampf der Social Media-Giganten mit weniger als einer Milliarde abspeisen lässt, spielt nur noch in der zweiten Reihe. Für Snapchat soll Zuckerberg dem kleinen Evan drei Milliarden Dollar angeboten haben. Der hat natürlich abgelehnt. Dafür hat er inzwischen bereits vier Milliarden auf der Kante, Tendenz steigend. Die Geschichte wiederholt sich. Wer im Billionaire Boys Club mitspielen will, der darf nicht käuflich sein. Das eigene Produkt ist alles. Und wo Menschen sich gegenseitig Schnappschüsse mit infantilen Filtern per Telefon (neuerdings auch per Brille) zuschicken, da ist die Gewinnspanne nach oben offen. Sky’s the limit!