Bodycount (Der Tod ist keine Option mehr)

„Es kostet verdammt viel Geld, so billig auszusehen“, so sprach einst die große Dolly Parton. Aber um sie soll es hier nicht gehen. Wie viel Geld Gina-Lisa Lohfink für die Karikatur ausgegeben hat, zu der sie sich im Laufe ihrer traurigen Karriere verformt hat, ist mir nicht bekannt. Aber was weiß ich denn überhaupt über diesen ganzen Affenzirkus verkrachter, aufgespritzter und zutätowierter Existenzen, der sich seit Jahren durch die Demütigungs-Formate des kommerziellen Fernsehens wurschtelt? Muss ich überhaupt etwas darüber wissen? Muss ich zum Beispiel wissen, ob der zwölfte Wodka Red Bull von Gina-Lisa möglicherweise mit K.O.-Tropfen gestreckt war, damals vor fünf Jahren, und wer daraufhin nun die juristische Schuld auf sich laden soll für eine aus dem Ruder gelaufene zugedröhnte Afterparty mit zwei Nachwuchsfußballern, die sie in irgendeiner Proletendisco aufgegabelt hat? Wirklich? Ernsthaft? Weshalb interessiert mich der „Fall“ Gina-Lisa überhaupt? Vielleicht tut sie mir einfach nur leid in all dem Irrsinn, den sie da angerichtet hat. Vielleicht passiert da auch gerade etwas Interessantes. Etwas, das sie tatsächlich eine neue Rolle finden lässt. Wie Phönix aus der Asche steigt sie gerade empor aus dem Sumpf der medialen Resterampe, in dem für sie zuletzt nur noch Jobs auf Porno-Messen im Angebot waren. Vor dem Amtsgericht Moabit erscheint sie als Silikon-Ausgabe von Katharina Blum, die übergroße Sonnenbrille als Schutzschild vorm Gesicht. Sie ist jetzt ein Opfer der Justiz, der Medien und des Patriacharts. Eine feministische Ikone. Ja, Zack, die Bohne – wer hätte das gedacht! Das #TeamGinaLisa feuert sie dabei an und ölt mit Kampfbegriffen wie Slut Shaming und Rape Culture die PR-Maschine der neuen Heldin. Erinnerungen an die Ellen-Jamesianerinnen aus John Irvings „The World According to Garp“ werden wach. Derweil fragt Gina-Lisa in einem exklusiven Interview mit dem SPIEGEL dramatisch “Muss ich erst umgebracht werden?“ und zumindest auf diese Frage kann ich eine Antwort geben.

Nein, das nun ganz bestimmt nicht. Der Tod ist keine Option mehr. Nein, nicht für dich, Gina-Lisa. Nicht in einem Jahr, in dem die Großen, die wirklich Berühmten, die Legenden sterben wie die Fliegen. Einem Jahr, in dem die Anschlags-Toten mittlerweile im Wochentakt und immer in mindestens zweistelliger Höhe bekannt gegeben werden. Und es ist gerade einmal Halbzeit. Die Toten des letzten Jahres sind dabei schon vergessen und die ertrunkenen Flüchtlinge werden sowieso nicht mehr gezählt. Nein, dein Ende wäre nur noch eine Randnotiz, begraben unter einem Berg von Leichen und politischen Mega-Krisen. Halte noch etwas durch, Gina-Lisa. Die neue Rolle steht dir gar nicht so schlecht. Wir wissen doch, wie es weitergehen wird. Wer glaubt, dass dein Management nicht längst Auftritte bei Marcus Lanz reserviert und Verträge mit Buchverlagen aushandelt, der hat die Regeln in diesem Zirkus noch immer nicht verstanden.

Schrott (wirrer Monolog über den Frühling)

Das Tauchboot ist verschwunden. In den letzten Wochen hatte es sich am Helgoländer Ufer festgemacht. Menschen habe ich nie darauf gesehen, immer nur dieses leere Boot. Zwischendurch hatte sich ein kleinerer Kollege, ein Munitions-Tauchboot dazu gesellt, ebenfalls ohne Besatzung. Munition? Eines haben die unsichtbaren Taucher jedenfalls geborgen: ein Knäuel ineinander verkeilter verrosteter Fahrräder und Einkaufswagen, markiert wie ein Tatort mit einem rotweißem Absperrband. Wichtige Beweise menschlichen Treibens, die der Fluss nicht behalten durfte. Gestern habe ich eine verwitterte Gestalt gesehen, in einer schmutzigen alten Lederjacke, auf der „Wixen gegen Nazis“ stand. Die Gestalt hat ein Foto von dem Schrotthaufen gemacht, mit einem ebenfalls recht verwitterten Smartphone. Ein hübsches apokalyptisches Szenenbild war das: ein Zombie, der einen Haufen Schrott instagramt. Der Aufstand beginnt als Spaziergang.

Vor dem Hauseingang hat jemand eine Pappkiste mit zwei alten Handtüchern und einer Klobürste abgestellt, davor ein Schild: „Zum Mitnehmen!“. Ja, eine Klobürste. Zum Mitnehmen. Im gleichen Maße wie das Sammeln von Pfandflaschen zum prekären Volkssport geworden ist, häuft sich der auf der Straße abgestellte Plunder derer, die zu faul sind, bis zur nächsten Mülltonne zu laufen. Ein kleines Pappschild davor, „Zum Mitnehmen!“, und fertig ist die Sharing Economy. Teilen! Teilen! Teilen! Mit der alten Klobürste des Nachbarn den Weltuntergang aufhalten! Meistens erbarmt sich ein Hausmeister und entsorgt das Zeug im Restmüll des Hinterhofes. Selbst in dieser zermüllten Stadt herrscht eine gewisse Ordnung. Rostige Fahrradhaufen werden vorschriftsmäßig abgesperrt und der Abfall wird entsorgt. Ja, irgendwann (jetzt kommt’s) werden auch wir entsorgt. Die Natur wartet auf unser Verschwinden, sie sammelt unseren Schrott und unsere Daten. Ich stelle mir vor, wie das Internet uns überleben wird (über einen atomsicheren, sich selbst speisenden Server) und all die instagramten Ansichten zerstörter Landschaften und gebrauchter Klobürsten an die Außerirdischen verkauft. Der Planet ist dann längst umbenannt in „Google Earth“.

Bis dahin lese ich Heiner Müllers Hamletmaschine*, das schönste deutsche Frühlingsgedicht, das ich kenne. Ich erfreue mich an den zwitschernden Vögeln, am präparierten Geschwätz und am verordneten Frohsinn. Wie schön die Menschen sind! Und alle elf Minuten verliebt sich ein Single mit PARSHIP. Idioten. Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen. Nieder mit dem Glück der Unterwerfung. Es lebe der Hass, die Verachtung, der Aufstand, der Tod! Ich bin der Dichter. Ich stehe an der Spree und spreche mit den Wellen … BLABLA!

Ophelia

* … Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. Ich stehe im Schweißgeruch der Menge und werfe Steine auf Polizisten, Soldaten, Panzer, Panzerglas. Ich blicke durch die Flügeltür aus Panzerglas auf die andrängende Menge und rieche meinen Angstschweiß. Ich schüttle, von Brechreiz gewürgt, meine Faust gegen mich, der hinter der Glastür steht. Ich sehe, geschüttelt von Furcht und Verachtung, in der andrängenden Menge mich, Schaum vor meinem Mund, meine Faust gegen mich schütteln. Ich hänge mein uniformiertes Fleisch an den Füßen auf. Ich bin der Soldat im Panzerturm, mein Kopf ist leer unter dem Helm, der erstickte Schrei unter den Ketten. Ich bin die Schreibmaschine.

Tote im Pool / Tütensuppen in Moabit

Als ich noch in Prenzlauer Berg wohnte, dem Bezirk everybody loves to hate, da bin ich ständig, das heißt täglich, in bekannte Schauspieler hinein gestolpert. Ob beim Kaffee trinken, beim Gemüsehändler oder an der Bushaltestelle: stets umringten mich Bambi-Preisträger aller Größen und Altersstufen, oft auch komplette Tatort-Besetzungen. Ob dort noch immer eine so hohe Schauspielerdichte herrscht, weiß ich nicht. In Moabit sehe ich jedenfalls immer nur Inga Busch. Dort geht sie zwischen Knast und Trödelhändler mit ihrem Hund Gassi und erkannt habe ich sie nur, weil sie sich wirklich sehr viel Mühe gibt, erkannt zu werden. Entweder erwische ich sie immer zufällig genau in den Momenten, in denen sie method-acting-mäßig für die nächste Pippi Langstrumpf-Verfilmung probt oder sie ist tatsächlich so verpeilt. Letzteres liegt nahe, denn ich erinnere mich, vor vielen Jahren mal einen Fernsehbeitrag über sie gesehen zu haben (in dem man unter anderem erfahren konnte, dass sie sehr gerne Tütensuppen isst) und da war sie ganz genau so verpeilt. Ich möchte hier aber nicht Inga Busch verhohnepipeln (zumindest nicht übermäßig), sondern mich stattdessen darüber freuen, dass der Glanz der Filmwelt auch in diesem Kiez ein klein wenig funkelt. Außerdem bin ich sicher, dass Frau Busch trotz Verpeiltheit ganz sicher eine ganz und gar harmlose Person ist.

Nicht so Nicolas Cage: immer wenn der einen Film dreht, müssen offenbar dutzende von Menschen in einem Swimming Pool ertrinken! Hier der Beweis:

tylervigen

P.S. Weitere aufschlussreiche Zusammenhänge dieser Art gibt es auf tylervigen.com zu bestaunen.