Schwere Zeiten (auf Wiedervorlage)

Liebe Lesende, werte Darbende, folgendes Geständnis wird Sie vielleicht nicht besonders überraschen: Ich habe noch nie eine Folge von Game Of Thrones gesehen. Ein Zitat daraus ist mir trotzdem geläufig: „Winter is coming!“ Traditionell gilt ja der November als die härteste Nuss im Kalender (trübes Wetter, hustende Menschen, erhöhte Selbstmordraten), aber auch der Dezember hat neben all dem Advents- und Weihnachtskitsch reichlich düstere Gedanken zu bieten. Die Populärkultur liefert dazu einige Beispiele. Was will ich Ihnen damit sagen? Stellen Sie sich bitte auf schwere, ja möglicherweise sehr schwere Zeiten ein. Auf einen schweren November, einen harten Dezember und auf bleierne Ostern! Von dem darauffolgenden mörderischen Sommer ganz zu schweigen. Natürlich nur, sofern Sie von den zuständigen öffentlichen Orakeln nicht längst auf Dauerschwere eingeschworen worden sind. Und sofern Sie nicht Michelle Hunziker heißen, denn dann haben Sie das Schwerste ja schon hinter sich. Inspiriert wurde ich zu dieser eindrücklichen Warnung durch Schwester Spahn, Mutti Merkel und den Kollegen Driesen. Ehre, wem Ehre gebührt.

Ein Stern in dunkler Nacht

Nach „Trump ist Hitler“, „Greta ist Gott“, „Warum das Internet uns alle anlügt“ und den „zehn wichtigsten Yoga-Übungen gegen Analkrebs“ läuft die STERN-Redaktion zum Jahresende noch einmal zur Höchstform auf und beweist mit ihrem aktuellen Titel, dass sie in Sachen Gesinnungskitsch in Deutschland auch weiterhin die Nase vorn hat. Lesen Sie in der neuen Ausgabe also, wie das Christkind die Firma Pfizer segnete, mit welcher antibakteriellen Seife Maria Magdalena die Füße von Dr. Drosten wäscht und warum Moses sich das Kanzleramt zutraut.

Liebe Leser, liebe Gemeinde, sehr verehrte Schafe und Nächstenliebende, ich möchte an dieser Stelle meine Musik-Tipps vom letzten Dezember wiederholen und noch um diese eine Perle ergänzen. Gesegnete Dröhnung!

Weltpolizei

„Du hast noch nichts geschrieben!“ belehrt mich WordPress per nervigem Popup-Fenster, weil ich nun schon seit zwei Minuten untätig auf den Text-Editor starre. Worüber soll ich auch schreiben? Über Rassismus? Ich auch noch? Wurde das Thema in den letzten Tagen noch nicht ausreichend weichpüriert? Ist irgendwer noch nicht weich? Püriert, gerührt, aufgelöst, betroffen und plattgewalzt von den Bildern und dem Getöse? Ich bin jedenfalls taub. Vor allem jenen meiner Mitmenschen gegenüber, die mir seit Jahren mit der immer gleichen Litanei über ihren Lieblingsfeind, den bösen Imperialismus in den Ohren liegen. Sie jammern über die Globalisierung und über die USA, die sich als Weltpolizei aufspielt und sich in die Angelegenheiten anderer Länder einmischt. Sehr verwerflich finden sie das. Das sind übrigens oft die selben Mitmenschen, die gerne von Deutschland aus per iPhone den Amerikanern und dem Rest der Welt erklären, wen sie gefälligst zu wählen haben, die jeden Social-Justice-Trend und -Hashtag aus Übersee unkritisch kopieren, schuldbewusst der Antifa hinterherlaufen und die dann auch noch „Black Lives Matter“ auf dem Alexanderplatz nachspielen. Der Narzissmus der vermeintlich guten Sache kennt keine Grenzen, der Irrsinn kein Maß. Um das, was tatsächlich passiert, geht es längst nicht mehr, auch nicht um den armen George Floyd. Im Laufe der Proteste gegen dessen gewaltsamen Tod sind in den USA mittlerweile schon 20 weitere Menschen ums Leben gekommen – Kollateralschäden im Kampf um gefühlte Wahrheiten und symbolträchtige Bilder, von denen sich auch die Cosplay-Aktivisten hierzulande berauschen lassen. Sie lassen sich einspannen, immer wieder, und finden nichts verwerfliches daran. Sind ja auf der guten Seite.

Wie war das noch vor einigen Jahren, als ein japanischer Tsunami zu einer Wende der deutschen Atompolitik geführt hat? Fukushima ist Berlin und Berlin ist Minneapolis. Welt am Draht, Welt am Limit. Und die neue Weltpolizei versorgt sich ständig mit frischer globalisierter Hysterie. Alle sind ständig und überall mitbetroffen, alle sind unterdrückt, alles ist ungerecht und alles hängt mit allem zusammen. Paranoid und populistisch sind aber natürlich immer nur die anderen.

Die Sonne und du

„Vom Ich zum Wir“ – das kenne ich noch als Einpeitsch-Mantra aus dem realsozialistischen Schulunterricht: Du bist nichts, das Kollektiv ist alles. Seitdem versuche ich konsequent das Gegenteil zu leben. Nur um jetzt wieder mit dieser kollektivistischen #irgendwasmitwir-Scheiße zugedröhnt zu werden. Und jetzt alle: #wirbleibenzuhause! Ja, macht mal. Bleibt zuhause. Und wenn ihr schon dabei seid, stellt doch bitte auch eure Webcams ab. Macht wenigstens ein paar Tage lang mal die Backen dicht. Bitte. Jetzt. Sofort. Dichtmachen. Abschalten. Kamera zukleben. Stecker ziehen. Schnauze halten! Nur ein paar Tage Sendepause für diese augen- und ohrenvergiftende Kitsch-Offensive, ist das denn wirklich zu viel verlangt? Ich will das nicht mehr sehen. Nicht mehr hören. Macht das weg. Ich interessiere mich nicht für eure armselige opportunistische Lockdown-Selbstdarstellungs-Sülze, für eure Wohnzimmer, eure quakenden Kinder und eure Katzen. Ich will nicht wissen, wie ihr diese crazy Krise mit Makramee, Putzen, Yoga oder Minigolf im hauseigenen Keller übersteht. Hört bitte auf, in die Kameras zu heulen, mit den Händen Herzchen zu machen und euch bei sonst wem zu bedanken. Ihr macht jeden Mist mit, ihr seid ganz genau so wie die grauenhaften Emo-Werbespots, die PENNY und die Telekom über euch drehen. Oma, Opa, dein Boss, deine Mutter und deine Gören – alle im Videochat vereint, so tapfer und so süß! Hilfe!


Papi, schenk mir einen Computer! Hilfe für die ganze Familie!
Liebling, nimm die Rüstungsspirale! Tanz den Gummitwist!
(Der Plan, „Gummitwist“)


Natürlich sind die Leute trotzdem draußen, spätestens seitdem auch die Sonne draußen ist. Gut, es sind ein paar weniger als üblich und einige tragen jetzt Mundschutz. Selbst in Berlin hat sich wohl etwa ein Viertel der Menschen durch das mediale Dauergeschisse ausreichend Angst einjagen lassen. Außerdem sind die Kneipen zu, das hat schon eine gewisse verkehrsberuhigende Wirkung. Der Rest macht aber einfach weiter wie bisher, flitzt durch die Gegend und lässt sich den Frühling auf den Bauch scheinen. Überhaupt, die Sonne – wenn die mal explodiert, haben wir aber wirklich ein Problem. Jetzt habe ich doch glatt „wir“ gesagt. Hilfe!

Dancing with myself (Corona-Clickbait)

  • Shutdown, Lockdown, Ausgangssperre: Was Sie jetzt wissen müssen
  • Mumien, Monstren, Mutationen: Was Sie jetzt nicht wissen wollen
  • Die 10 beliebtesten Arten, in Panik zu geraten
  • Die 10 beliebtesten Arten, über Leute zu lachen, die in Panik geraten
  • Die 25 geschlossensten Sushi-Bars Berlins
  • Die 35 populärsten Verschwörungstheorien
  • 50 Neue Methoden, sich den Arsch abzuwischen
  • 100 italienische Volkslieder, die Sie auf Ihrem Balkon singen können
  • 100 John-Lennon-Songs, die Sie in Ihrem Keller singen können
  • Die schönsten Christian-Drosten-Perücken auf Amazon
  • Die preiswertesten Christian-Drosten-Perücken bei NETTO
  • Tausend irre Gründe, warum Merkel jetzt zurücktreten muss
  • Quarantäne-Sex im Home Office: Willige Luder atmen durch die Maske
  • Soziale Distanz: Meike Lobo packt aus
  • Von Tom Hanks bis Xavier Naidoo: Wie Promis durch die Krise kommen
  • Germany’s Next Top Prepper: Die lustigsten Casting-Clips
  • Die fünf Millionen süßesten Pinguin-Videos auf Bento
  • Die rührendsten Geschichten aus Don Alphonsos Verwandtschaft – inklusive „Wie Opa über die Alpen kam“, Tante Carlas historische Tortenrezepte und alles über den Hungerwinter 1946!
  • Die Lage am Morgen
  • Die Lage am Mittag
  • Die Lage am Abend

Die schweigende Mehrheit schweigt für mich

Ich höre die Stimme aus dem Radio. Sie spricht über laute Ränder und die schweigende Mehrheit. Letztere müsse bitte aufhören zu schweigen, so die Stimme, auf dass die lauten Ränder endlich übertönt werden. Denn sie, die Mehrheit, wisse doch ganz genau, dass wir mehr für den Klimaschutz und für die Flüchtlinge tun müssen, das sei doch klar. Seltsam, denke ich, da setzt jemand offenbar wie selbstverständlich Schweigen mit der Zustimmung zu den eigenen Positionen gleich. In meiner Wahrnehmung interessiert sich die „Mehrheit“ ja zu allererst immer für das eher private Wohlergehen, Sicherheit, Gartenzaun, Kontostand usw. … Und schweigen tut sie weit weniger, als es mir lieb ist. Sich eine andere, alternative Mehrheit zu imaginieren, die geschlossen hinter einem steht, offenbart doch ein beachtliches Maß an Selbstüberhöhung. Dass es genauso gut auch umgekehrt sein könnte, dass man selbst also wohlmöglich einen lauten Rand repräsentiert, dem nur ausreichend Mikrophone zur Verfügung stehen, kommt in dieser seltsamen Sicht der Dinge nicht vor. Wie sollte es auch? How dare you! Das Radioprogramm ist beendet und ich höre nun die Stimme der Moderatorin: „Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Rackete.“

What the Fakt?

Hat sich jemand da draußen Sorgen um Claas Relotius gemacht? Vielleicht mal ab und zu seinen Namen gegoogelt, um sicher zu gehen, dass er noch nicht aus dem Fenster gehüpft ist? Keine Sorge, Relotius heißt nicht Hingst, der ist psychisch stabil und schreibt wahrscheinlich gerade irgendwo an seinen Memoiren. Und zwischendurch geht er juristisch gegen seinen ehemaligen Kollegen Juan Moreno vor, wegen angeblicher Falschaussagen in dessen Buch „Tausend Zeilen Lüge“. Der selbe Journalist, der ihn beim Lügen erwischte, wird also nun wiederum von ihm beim Lügen erwischt. Das ist so schön, dass konnte ich nicht ganz unerwähnt lassen. SPIEGEL – the gift that keeps on giving. Nächste wahrscheinliche Eskalationsstufen: Moreno verklagt Relotius wegen Rufschädigung, Relotius verklagt Moreno wegen Mobbing, Moreno verklagt sich selbst, Relotius zieht vors Bundesverfassungsgericht, Moreno zieht ins Kloster, Relotius erhält schließlich den Felix-Krull-Preis in Alu für sein Lebenswerk und die Kanzlerin tippt „Fake News“ in die Suchmaschine.

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Ich kaufe mir eine Zeitung

Ich habe mir in dieser Woche die Berliner Zeitung gekauft. Es war nur eine einzige Print-Ausgabe, aber da ich das so selten tue, halte ich es für eine sehr bemerkenswerte Mitteilung. Es geht mir da wohl ähnlich wie den neuen Besitzern des Blattes (die in eben jener Ausgabe auch vorgestellt wurden). Nach eigenen Angaben lesen Bruder Rauschebart und Gattin seit 15 Jahren keine Berliner Zeitung mehr. Und haben deshalb gleich mal den gesamten Verlag gekauft. Das Ehepaar Friedrich beschreibt die Investition als „zivilgesellschaftliches Engagement in bewegten Zeiten“. Hui, hallo, hurra! Engagiert, zivil, Gesellschaft, bewegt, Zeiten und so … was man eben in so einem Fall öffentlich verkündet. Wahrscheinlich haben sie den Laden gerade einfach nur sehr günstig ersteigert (der Vorbesitzer versucht ihn schließlich schon seit Jahren wieder abzustoßen), aber das klingt natürlich viel zu profan.

Zlatko

Schreib doch mal was über Promi Big Brother, nervt mich meine innere Stimme (wie die alkoholabhängige Pastewka-Agentin), scheiß auf’s Niveau, einfach mal rausholzen den ganzen Mist, dann stimmt auch wieder die Quote! Also bitte sehr: Zlatko ist wieder auferstanden und ich werde jetzt erklären (wie so eine Mate-abhängige Zeitgeist-Redakteuse mit Hipsterdutt), warum das, wenigstens restrospektiv-ironisch, sehr bedeutend ist. Oder auch nicht. Die erste Big-Brother-Staffel vor knapp 20 Jahren haben alle geschaut, selbst die Berliner Agenturblase. Ja, das war natürlich alles ganz furchtbar, so ein Trash, haha, wie kann man nur, aber haste die gesehen, alter Falter, Hilfe, noch mal fünf Sekt auf Eis hier auf halb acht, Luigi … bevor wa’s dem Insolvenzverwalter schenken, hahaha! Tatsächlich kann ich mich noch an Zlatko erinnern, den Quoten-Proll, der nicht wusste, wer Shakespeare ist. Mit so vielen Jahren Abstand erscheint es fast rührend, dass der mal als dümmster Mensch im deutschen Fernsehen galt. Zlatko könnte heute SPD-Vorsitzender werden, das würde niemand merken. Heute haben sich die Zlatkos und Veronas, die Ochsenknechts und Gina-Lisas längst in die Tausende multipliziert, weshalb vor jedes ihrer neuen Bums-Formate ein „Promi-“ geklebt werden muss, damit da überhaupt noch jemand zuschaut. Ich spare mir jetzt mal die übliche Litanei darüber, wie unprominent diese „Promis“ eigentlich sind. Natürlich kennt die niemand, es sei denn man glotzt 24 Stunden am Tag Bauer-Sucht-Zombie-Blas-den-Bachelor-am-Ballermann, und selbst dann hat man diese ganzen tätowierten Porno-Hackfressen doch gleich wieder vergessen. Aber, und das ist ein gewaltiges ABER, Hand auf’s Herz zum heiligen Schwur: wir haben doch alle unsere Guilty Pleasures, irgendeinen Müll, den wir gerne schauen, wenn das Hirn auf Sparflamme köchelt und wir nur noch möglichst schnell und fettig unterhalten werden wollen. Ich zum Beispiel schaue gerne mal auf TLC oder ähnlichen Reality-Kanälen Mein Leben mit 300 Kilo oder Man vs. Food (quasi als inhaltliche Symbiose), die Real Housewives im Internet, Germany’s Next Topfdeckel sowieso oder eine dieser Sendungen, in denen Putzfanatikerinnen mit Gummihandschuhen zugesiffte Messi-Höhlen reinigen müssen. Sollte die mal jemand alle zusammen in einen Container stopfen und die Kamera draufhalten, würde ich mir das wahrscheinlich auch anschauen. Was das nun alles mit Zlatko zu tun hat? Keine Ahnung. Lassen Sie mich doch in Ruhe und lesen Sie ein Shakespeare-Sonett (oder den neuesten Hit aus meiner Grabbelkiste) …

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