Erster Akt:
Berlin, Spreeufer. Wir sehen den Konferenzraum der PR- und Marketing-Agentur Frisches Blut. Das komplette Team hat sich versammelt. Hurra, hurra, die Präsentation fürs Ministerium war erfolgreich, die Agentur ist beauftragt! Zwanzig Kopien eines Briefings, fett wie ein Ziegelstein, werden verteilt. Es geht um die Planung einer Festveranstaltung. Irgendeine Initiative des Ministeriums feiert drei Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Initiative eines anderen Ministeriums. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall ist das Budget üppig und der Zeitplan entspannt. Ein paar Telefonate, ein paar Einladungen, eine Broschüre, ein Fotograf, Händeschütteln – das Übliche eben, leicht verdientes Geld. In einer Woche sollen die ersten Entwürfe rübergehen. Alle klopfen auf den Tisch, let’s do this, yeah!
Zweiter Akt:
Drei Monate später kommt die erste Reaktion aus dem Ministerium. Die Assistentin der Vertretung des Pressesprechers des Ministers bittet um Verständnis für die verspätete Rückmeldung, aber der Minister war im Urlaub, sein Pressesprecher krank, dessen Vertretung in Elternteilzeit und sie selbst unterwegs. Der Minister lässt ausrichten, dass er die Entwürfe sehr schön findet, aber gerne etwas anderes, frischeres, bunteres hätte. Und die Broschüre würde jetzt doch noch 60 Seiten länger werden, der neue Text kommt gleich. Neue Entwürfe werden bis zum Nachmittag erwartet, denn danach wäre der Minister unterwegs, sein Pressesprecher im Urlaub, dessen Vertretung krank und die Assistentin schwanger. Die restlichen Korrekturen schickt das Sekretariat der Pressesprecherin des anderen Ministeriums, nachdem diese aus dem Urlaub zurück und ihre Assistentin wieder gesund sei. Aber bereiten Sie doch bitte schon mal die Druckdaten vor, damit es nachher schnell gehen kann. Die Agentur hyperventiliert, die Projektleiterin bekommt Brechdurchfall und der zuständige Designer springt aus dem Fenster in die Spree. Der Volontär ruft daraufhin sämtliche Freelancer an, einer hat Zeit und schickt zwei Stunden später ein komplett neues Layout zurück. Die Assistentin der Vertretung des Pressesprechers des Ministers lässt mitteilen, dass sie die Entwürfe nicht in Word öffnen könne, sie jetzt aber eigentlich auch schon aus dem Haus sei, ihre Kollegin übernehmen werde, nachdem sie aus dem Mutterschaftsurlaub zurück sei, sich dann aber auch erst einmal in das Projekt einarbeiten müsse. Um Geduld wird gebeten.
Dritter Akt:
Einen Monat später: die Vertretung der Kollegin der Assistentin der Vertretung des Pressesprechers schreibt, dass das Kind der Kollegin krank sei, der Pressesprecher aber durch seine Vertretung mitteilen ließ, dass der Minister gerne den ersten Satz aus der Einladungskarte anders formuliert hätte. Damit keine Missverständnisse aufkommen. Außerdem wären die neuen Entwürfe nicht seriös genug und die Broschüre viel zu lang. Die Korrekturen aus dem Sekretariat des anderen Ministeriums seien bitte wieder rückgängig zu machen, weil man dort gar nicht zuständig sei. Es wäre jetzt wirklich sehr wichtig, dass die geänderten Versionen in zwanzig Minuten wieder zur Abstimmung geschickt werden, weil danach der Minister wieder unterwegs sei, der Pressesprecher im Urlaub und die Vertretung der Kollegin krank. Die Auslieferung der Drucksachen würde dann bis Morgen Nachmittag erwartet, denn danach wäre das Sekretariat nicht mehr besetzt und am nächsten Tag sei schließlich Feiertag. Anschließend wäre der Minister dann ja auch im Urlaub, der Pressesprecher krank und alle anderen Beteiligten entweder schwanger oder nicht mehr zuständig.
Letzter Akt:
Der Minister muss seine Teilnahme an der Festveranstaltung leider kurzfristig absagen. Heitere Musik wird eingespielt. Vorhang.
Diese kleine Szenenfolge beschreibt praktisch jedes einzelne Projekt für Kunden aus der Regierung oder dem öffentlichen Dienst, an dem ich in den letzten zwei Jahrzehnten beteiligt war. Es ist natürlich nur ein ganz kleiner Ausschnitt, in Wirklichkeit ist das alles noch viel schlimmer. Täglich werden in der Hauptstadt Maßnahmen und Veranstaltungen geplant und wieder abgesagt, die keinen erkennbaren Nutzen haben, dazu werden Tonnen von Vorgängen und Papier produziert und weitergereicht – von Leuten, die für nichts zuständig und nur selten anwesend sind. Man muss sich den steuerfinanzierten Verwaltungskörper dieses Staates tatsächlich als breit angelegte kafkaeske Beschäftigungstherapie für inkompetente Urlauber und Dauerpatienten vorstellen. Klebt sich eine Agentur das Logo eines Ministeriums oder sonst einer öffentlichen Anstalt in die Kundenliste ihrer Website, so ist das nicht einfach eine Referenz, sondern ein Verdienstorden. Die Schwachsinns-Schlacht wurde überlebt, die Kotze wird aufgewischt, das Geld wieder versteuert. Und weiter geht es. Let’s do this, yeah!