Da lobte ich in meinem vorletzten Beitrag also den Pestarzt (natürlich nur ganz vorsichtig, der Mann ist Masochist, zu viel Zuckerbrot verträgt er nicht), schon lobte er mich ausdrücklich zurück, was mir kurzzeitig wieder einmal Klickzahlen in galaktischen Dimensionen bescherte. Herzlichen Dank dafür … ach nein, sorry, in den Staub mit dir, du Hurensohn, *Peitsch!* Auf jeden Fall scheint mir dies ein passender Anlass zu sein, dessen liebreizende Energie auch mal in meinem Blog zu channeln. Denn glauben Sie mir, heute habe ich wirklich Grund dazu.
Wie kam ich auch auf die hirnrissige Idee, an einem Sonntag ans andere Ende der Stadt gelangen zu wollen? So ganz ohne Helikopter oder privaten Düsenjet? Bin ich vielleicht bescheuert? Ja, bin ich, denn ich wusste nicht, dass heute „Marathon“ war. Weil ich nämlich nicht ununterbrochen Lokalnachrichten höre oder schaue. Weil es mich nun mal nicht sonderlich tangiert, ob Oma Uschi in einem Moabiter Späti ausgeraubt oder transophob beleidigt wird, ob in Lichtenberg ein Dachgeschoss ausbrennt oder die Abou-Chaker-Brüder gerade mal wieder irgendwo Party machen. Oder ob irgendwer schon wieder um die Wette rennt. Derart ahnungslos bestieg ich also Mittags ein Taxi, denn ich hatte es eilig und außerdem regnete es auch noch in Strömen. Als ich dem türkischen Daddy mein Ziel nannte, verfiel dieser sofort in ein mächtiges Gejammer: Oh nein, mein Guter, oh, oh, oh, junger Mann, Meister, ach, ach, ach, da kommen wir ja gar nicht hin, ist ja alles gesperrt, alle laufen zu Fuß! Musst du laufen, Meister! Zu Fuß nach Steglitz laufen, dachte ich, bist du nicht mehr ganz dicht? Da tönte es auch schon aus dem Autoradio: Hallo, hier ist Radio Marathon! Mit den neuesten Marathon-Nachrichten und dem Superduper-Marathon-Gewinnspiel! HimmelarschundKünast, nicht schon wieder! Hatten wir hier nicht gerade erst einen dieser überflüssigen beschissenen Idioten-Marathons? Können diese abgemagerten Irren nicht einfach durch die Uckermark rennen oder meinetwegen über den Himalaya? Wieso immer ausgerechnet durch Berlin, das auch so schon jedes Wochenende den Verkehrskollaps macht? Wird schon nicht so schlimm werden, rief ich dem Jammer-Daddy zu, fahren Sie einfach irgendwie drum herum. Jetzt wurde sein Geheule noch lauter, er zählte eine Million Straßennamen auf und verfiel in einen langen Entschuldigungs-Singsang: Nicht böse sein, Meister, nicht böse sein, geht nicht, Meister, geht nicht, geht nicht! Irgendwann ging es wirklich nicht mehr. Alles gesperrt. Für diese durchnummerierte Trampelherde und ihren trommelnden Jubelmob. Ich schleppte mich zum nächsten U-Bahnhof. Scheiß Lärm, Scheiß Wetter, Scheiß Chaos! Gottverdammter Scheiß Marathon! Letzteres schrie ich dann auch einem nölenden Obdachlosen-Zeitungsverkäufer entgegen, irgendeiner muss es ja abbekommen. Wären jetzt noch ein paar verpeilte Touristen, Spendensammler oder Amnesty-Hüpfer mit ihren Unterschriften-Listen vor mir aufgetaucht („Huhu, duhu, warum so eilig?“), wäre Blut geflossen, ganz sicher. Nicht böse sein, Meister, nicht böse sein! Irgendwann landete ich am Innsbrucker Platz, natürlich war die Hölle auch hier noch nicht zu Ende. Kein Bus, kein Taxi, nur noch mehr Rennspacken und Jubeltrommler. *Rassel-rassel-trommel-trommel-jubel-kreisch!* Musst du laufen, Meister! So lief ich also, musste ich ja, ungefähr drei Kilometer durch den Regen, mit Laptop unterm Arm und gefühlten zehn Zentner Gepäck. Kein Ende in Sicht. Denn der nächste Scheiß Marathon kommt bestimmt. Am liebsten hätten sie es hier das ganze Jahr über so: abgesperrt, eingezäunt, lahmgelegt, verkehrsberuhigt, autofrei. Extinction Klima Radfahr Wettrenn Sambatrommel Arschloch Rebellion.

„Hundert mal hab ick Berlin verflucht …“ schunkelte Helga Hahnemann einst durchs Schlagerradio. Helga Hahnemann? Kennste? Kennste? Kennste? Die Gute schunkelt nun schon seit Jahrzehnten unter der Erde weiter und muss sich dieses verdammte prekäre Hippie-Drecksloch von Stadt nicht mehr jeden Tag antun. Niemals habe ich Berlin so sehr gehasst wie heute. Ich darf das, denn ich bin hier geboren. Und so wahr mir die heilige Helga helfe, ich werde diesen verfluchten Laden irgendwann eigenhändig abfackeln. Hundert mal, wenn’s sein muss. Niederbomben. Pulverisieren. Dagegen war 1945 ein Spaziergang. Freut euch drauf, ihr trommelnden, johlenden Arschlöcher! Gut jetzt? Nein.