Rückblick Sommer 2020: Ich sitze in einem Berliner Linienbus, der von Mad Max gefahren wird. Die Fahrerkabine ist mit groben Plastikfolien verkleidet, die aber nicht richtig festkleben und daher wild umherflattern. Was eigentlich als Schutzmaßnahme gedacht war, präsentiert sich als Symbol der Anarchie. Auf die Rückseite der Kabine hat jemand mit Marker „Wir waren hier“ gekritzelt, darunter die Initialen D und A. Mad Max nimmt jetzt eine scharfe Kurve, gefolgt von wildem Gehupe und Gefluche. Im Ohr habe ich „Great Southern Land“ von Icehouse, wie hat sich das nur in meine Playlist verirrt? Aber es passt, zum Wetter, zu dieser Busfahrt, zu meiner Stimmung, zu allem. Die Zeitreise beginnt.
Rückblick Februar 1997: Nördlich von Cairns sitzen wir in einem kleinen Pub, der außer uns nur von einer Gruppe geselliger, aber nicht sehr trinkfester Aborigines bevölkert wird sowie von zwei Berliner Backpackern. Natürlich treffen wir auch hier, mitten im Nirgendwo, auf Deutsche, noch dazu Berliner, wie sollte es auch anders sein. Wie sich herausstellt, wohnen die beiden daheim tatsächlich nur ein paar Ecken von meiner Wohnung in der Urbanstraße entfernt. Wir gehen offenbar sogar im gleichen Supermarkt einkaufen, mussten aber erst ans andere Ende der Welt reisen, um uns zu begegnen. Ich lerne außerdem Ruby kennen. Wir sind im selben Alter, was mich angesichts ihrer Erscheinung etwas überrascht. Ruby ist die erste australische Ureinwohnerin, mit der ich persönlich spreche. Für sie ist dieses Nirgendwo hier das Zentrum des Universums, Berlin kennt sie nicht. Künstlerin sei sie, so erzählt sie mir. Schade, dass wir nicht länger bleiben können, sagt sie, wir sollen wiederkommen und sie zuhause bei ihrer Familie besuchen. Eine Adresse hat sie nicht, wir sollen einfach hier im Ort nach Ruby fragen. Erst vor einigen Tagen hatte ich zum ersten Mal an der australischen Pazifikküste gestanden und mich so glücklich und frei gefühlt wie nie zuvor. Vielleicht auch, weil mir klar wurde, dass ich gute fünf Jahre davor noch in Kalifornien auf der anderen Seite dieses Ozeans gestanden hatte. Und dass ich wiederum drei Jahre davor nicht mal den Schimmer einer Ahnung davon hatte, wie riesig und gleichzeitig klein die Welt schon bald für mich werden würde.
Wenn ich heute, mit mehr als 25 Jahren Abstand, an diese Reise zurückdenke, frage ich mich nicht nur, was wohl aus Ruby geworden ist, sondern auch aus ihrem Kontinent, unserem einstigen Sehnsuchtsort mit seiner überwältigen Natur und diesen geradezu obszön freundlichen und entspannten Menschen. Fast nur noch Horror-Nachrichten gab es in den Corona-Jahren über das Great Southern Land zu lesen: übergriffige Behörden, Einreisebeschränkungen und Internierungslager. Australien, die ehemalige Sträflingskolonie, hat sich zurück in Richtung Totalitarismus entwickelt, mehr noch als Deutschland und der Rest der Welt. Ein Trauerspiel. Aber auch das wird ein Ende haben. Kein System ist von Dauer, so viel habe ich in meinem bisherigen Leben auf diesem schrumpfenden Planeten schon gelernt, und Freiheit ist eben keine politische Floskel, sondern immer noch unser Geburtsrecht. G’day Mate!

Rückblick Januar 2022: Irgendwas war da. Irgendein Rappel, ein Grund, eine längere Pause anzukündigen. Ich will ehrlich sein: ich könnte auch noch ein weiteres Jahr dranhängen, es würde für mich keinen großen Unterschied machen. Dieses Format, sofern es denn überhaupt eines ist, hat sich abgerieben in den knapp acht Jahren seit seiner Gründung. Dennoch werde ich mir diese kleine Spielwiese wohl doch noch etwas länger erhalten. Meine wenigen treuen Leser dürfen nun aufatmen und endlich die schwere Last der Trauer, die sie ganz sicher in den letzten zwölf Monaten mit sich herumschleppten, befreit wieder abwerfen. Es geht also weiter, wenn auch noch sporadischer und unregelmäßiger als bisher. Zuvor habe ich hier noch ein wenig durchgewischt, vieles gelöscht und einiges nachträglich redigiert, das stilistisch nicht mehr richtig passte oder einfach nur auf tote Links verwies.
Ach, und Sie haben es sicher schon bemerkt: auf der Suche nach anderen Plattformen bin ich inzwischen auch beim Medienimperium TWASBO von Oliver Driesen eingestiegen. Die Zusammenarbeit und gelegentliche Reibung mit dem Kollegen aus Hamburg tut mir und meinen Texten ganz gut, denke ich. Es geht also auch dort im Jahr 2023 weiter, auf dass das Internet endgültig vor Hass und Hetze zerbersten möge! Man liest sich.