Who’s gonna drive you home tonight? (Ich streame weiter)

Ich bin auf der Flucht. Im Autoradio höre ich die Fahndungsnachricht, sie kennen jetzt meinen Namen. Ich wechsle den Sender, drehe die Musik auf und singe, schreie mit, so laut ich kann: „Gloria, don’t you think you’re falling? If everybody wants you, why isn’t anybody caaaalling?“ Vor mir liegt Miami Beach, Schauplatz meines nächsten Mordes. Es wird der letzte sein, der beste und glamouröseste. „Gloria, I think they got your number … I think they got the alias that you’ve been living under …“ Das Meer ist so blau, wie ich es erwartet habe und Laura Branigan begleitet mich in den Untergang. Ich habe nichts mehr zu verlieren.


Tatort Netflix. Ich habe die perfekte Serie gefunden, endlich, wenn auch mit etwas Verspätung: The Assassination of Gianni Versace (veröffentlicht 2018 auf FX). Perfekt auf mich zugeschnitten, ich bin wohl die Zielgruppe. Weil ich nun mal eine Schwäche für charismatische Serienkiller habe, für ihre Motive, ihre Psyche und ihren Lebenslauf. Vielleicht auch, weil mein lieber Gatte mir bereits vor Jahren erzählte, dass er den späteren Versace-Mörder Andrew Cunanan Mitte der 90er Jahre tatsächlich mal in einer Bar in San Francisco kennengelernt hatte. Es war nur eine kurze Begegnung, er hat es überlebt. Die Serie haben wir uns nun zusammen angeschaut. Dort wird Cunanan als ebenso psychopathischer wie einsamer Charakter dargestellt, ein Besessener und Größenwahnsinniger, der sich vor seinen Mitmenschen immer wieder neu erfindet. Ständig präsentiert er neue, fantastische Versionen seiner Biografie, während seine wahre Lebensgeschichte in Rückblenden rekonstruiert wird. Darin eingebunden sind auch die Geschichten seiner Opfer, inklusive die von Gianni Versace (dessen Mord zwar den erzählerischen Rahmen bildet, insgesamt aber höchstens zehn Prozent der Handlung einnimmt). Die Familie Versace hat sich ausdrücklich von dieser Produktion distanziert und leugnet bis heute, dass Cunanan und Versace vor seiner Ermordung jemals persönlichen Kontakt hatten. In der Filmversion finden deren Begegnungen dann meist auch in künstlich inszenierten Umgebungen oder in traumähnlichen Sequenzen statt. Vielleicht ist es gar nicht wichtig, ob die beiden sich wirklich kannten oder nicht, denn durch den Mord bleiben ihre Namen für immer miteinander vereint. Zum Schulabschluss soll Andrew Cunanan von seinen Mitschülern den Titel „Most Likely To Be Remembered“ verliehen bekommen haben. Diese Prophezeiung dürfte sich nun endgültig erfüllt haben.

Criss_Cunanan

Die perfekte Serie kann für mich nur eine Miniserie sein. Sechs bis zehn Episoden, das reicht. In diesem Fall sind es neun. Ein kompakter dramatischer Bogen. Keiner dieser aufgeblasenen Glotz-Marathons, bei dem ich spätestens nach der zweiten Staffel die weiße Fahne schwenke, weil mein anfängliches Interesse sich längst in Erschöpfung und in Missgefallen über endlose Storylines und ständig neue hanebüchene Plot-Twists aufgelöst hat. Auch das Casting ist nahezu perfekt. Neben Hauptdarsteller Darren Criss hat mich vor allem Judith Light in einer Nebenrolle begeistert. Kinder der 80er Jahre kennen sie vielleicht noch aus der Sitcom „Wer ist hier der Boss?“. Hier spielt sie nun die Witwe eines der Mordopfer von Andrew Cunanan, die Homeshopping-Queen Marilyn Miglin, die ihr Leben vor allem auf Selbstbeherrschung und Verdrängung aufgebaut hat. In ihrer kalten Maskerade aus hochtoupierter Betonfrisur, High Heels und eisernem Willen wirkt sie fast noch beängstigender als der Mörder Cunanan in seinen psychopathischsten Momenten. Dazwischen blitzt aber auch bei ihr immer wieder subtile Verzweiflung durch, die Maske wird langsam brüchig. Eine unglaubliche, ja unheimliche Performance.  

Light_Miglin

Ach, und die Musik, die hat ein eigenes Kapitel verdient. Es gibt den Original Score von Mac Quayle, der dafür kunstvoll Elemente von Giorgio Moroder, Ambient und italienischer Oper kombinierte. Und es gibt das, was ich als das große Ryan-Murphy-Disco-Drama bezeichnen möchte. Ryan Murphy ist vor allem als Produzent von Glee bekannt geworden (die Serie, durch die übrigens auch Darren Criss erstmals größere Bekanntheit erlangte). Dort sangen und tanzten sich aufgekratzte High School Kids alle paar Minuten die Seele aus dem Leib. Das war vielleicht noch nicht wirklich die Krone der TV-Unterhaltung, aber schon dort bewies er ein sicheres Gespür dafür, alten Popsongs neues Leben einzuhauchen. Dieses Gespür wurde in seinen anspruchsvolleren Produktionen der letzten Jahre noch extrem verfeinert. Auch wenn er nicht immer selbst Regie führt, bleibt seine Handschrift im Soundtrack doch immer unverkennbar.

Als The Assassination of Gianni Versace vor mehr als zwei Jahren beworben wurde, machte vor allem eine Szene die Runde: Darren Criss tanzt als Andrew Cunanan, nur mit knapper rosa Unterhose bekleidet, durch ein Hotelzimmer, es läuft „Easy Lover“ von Philip Bailey und Phil Collins, während auf dem Bett ein alter Mann um sein Leben kämpft. Erinnerungen an die alberne Verfilmung von „American Psycho“ wurden wach, aber glauben Sie mir: das hier ist viel, viel besser. Und es gibt diese Szene, in der Andrew in einem Pub sitz, an irgendeiner Landstraße, unterwegs von einem Mord zum nächsten. Wie hypnotisiert schaut er sich den Auftritt einer Sängerin an (Aimee Mann in einer kleinen Gastrolle), die eine Akustik-Version von „Drive“ (The Cars, 1984) zum Besten gibt. „You can’t go on thinking nothing’s wrong …“ scheint sie nur für ihn zu singen. Was folgt, ist die vielleicht traurigste und herzzerreißendste Minute der gesamten Geschichte, sie spielt sich allein in Andrews Gesicht ab. Die finale Mordszene wird schließlich mit „Vienna“ von Ultravox unterlegt. All das hätte sehr leicht in manipulativen Schmalz umkippen können. Tut es aber nicht, dazu ist es zu präzise inszeniert. In diesen Momenten glaubt man fast, die Songs seien einzig und allein für diese eine Szene und ihren Protagonisten komponiert worden.

Ryan Murphy hat ein goldenes Händchen für solche Momente. Damit heben sich seine Serien auch wohltuend vom Großteil seiner Konkurrenz ab, die musikalisch gerne besonders dick aufträgt und dabei immer verlässlich daneben greift. Denn einfach nur deprimierende Songs über ohnehin schon deprimierende Szenen legen oder hektischen Technoschrott über hektische Verfolgungsjagden, bis den Zuschauern die Ohren bluten, das kann jeder. Dazu braucht man nicht mehr als die Sensibilität einer Scheibe Toastbrot bzw. eines durchschnittlichen ZDF-Redakteurs. Was dagegen in The Assassination of Gianni Versace passiert, ist die Erhebung von vermeintlich schnödem Radiopop auf ein neues dramatisches Level, wo Disco, New Wave, Oper, Camp und griechische Tragödie eine perfekte Symbiose eingehen. Im Dienste der perfekten Serie. Oh je, immer dieses schlimme P-Wort, ich weiß … aber ich kann nicht anders!

Fazit: Thema, Form, Darsteller, Soundtrack – alles perfekt. Fast. Einen einzigen Schönheitsfehler gibt es, aber selbst der wird am Ende noch durch einen brillanten Regie-Einfall neutralisiert. Es geht um Penélope Cruz bzw. um Donatella Versace. Eine seltsame Besetzung. Im Vergleich mit dem realen Vorbild erscheint Frau Cruz immer drei Nummern zu elegant, zu attraktiv und zu farblos. Da helfen auch das falsche Gebiss und das angestrengte Genuschel nicht. Aber dann: in einer der letzten Einstellungen schaut die trauernde falsche Donatella in einen mit dem Versace-Logo geprägten Spiegel. Ihr Gesicht verschmilzt mit dem Kopf der Medusa und sie sieht sich selbst für einen kurzen Augenblick entstellt, wahnsinnig, zur Fratze verzerrt. Ein Ausblick auf ihr zukünftiges Erscheinungsbild. Perfekt.


Abschließend möchte ich bekennen, dass ich meinen Gatten um seine damalige Begegnung mit Andrew Cunanan beneide. Ich finde die meisten Menschen dermaßen langweilig, dass mir die Bekanntschaft eines Serienkillers als faszinierende Abwechslung erscheint. Man sollte von seinen Mitmenschen aber auch nicht zu viel erwarten, jedenfalls nichts, was man nicht auch selber tun kann (alte Volksweisheit). In diesem Sinne sollte ich vielleicht einfach mal selbst … Also Sie hören von mir.


Trailer: „The Assassination of Gianni Versace“

#RadtkeDidntKillHimself – Ein Nachruf

Nein, der junge Mann ist nicht wirklich tot. So nehme ich an. Aber was weiß ich schon? Unbestätigten Gerüchten zufolge gibt und gab es nie einen Tom Radtke. Es handelt sich dabei wahrscheinlich nur um die jüngste frankenstein’sche Schöpfung eines geheimen Digital-Labors in Schleswig-Holstein, oder der Ukraine – da kommen die ganzen lustigen Trolle doch immer her, richtig? Tom Radtke hat die schillerndste und gleichzeitig kürzeste Twitter-Karriere Deutschlands hingelegt. Schon sein Einstieg war eine Granate: zum Gedenktag der Befreiung von Auschwitz erklärte er uns die Klima-Bilanz des zweiten Weltkrieges, trendete daraufhin die Timelines zu Asche und schoß schon bald todesmutig gegen alles, was sich ihm in den Weg zu stellen drohte: FFF, die Grünen, Johannes Kahrs und natürlich gegen den unvermeidlichen Twitter-Goebbels Böhmermann. Kurz bevor die erste große Seifenoper der Generation Klimahüpfer aber so richtig Fahrt aufnehmen konnte, war der Spaß leider schon wieder vorbei. Konto gesperrt, Sendeschluss. Vielleicht ist es ja gut so – it’s better to burn out than to fade away … Mach es gut, Tom, du warst und bist ein Kind deiner Zeit.

@tomradtkede


Eilmeldung (ach, man kommt ja gar nicht mehr hinterher): Er ist wieder da! Bitte gehen Sie zurück auf Los, speichern Sie obigen Nachruf für den Fall der nächsten Sperrung und vor allem: Bleiben Sie dran!

Gucci 2020

Die kleinen Mädchen aus der Vorstadt tragen heute Nasenringe aus Phosphor
Die Lippen sind blau, die Haare grün, Steichholzetiketten am Ohr …
(Extrabreit, Hurra Hurra die Schule brennt, 1980)


Einbrechende Nachrichten aus der Welt der Mode: Lars Eidinger macht Werbung für Luxus-Taschen im ALDI-Design und irgendwelche Leute finden das geschmacklos. So las ich zumindest. Heutzutage werden ja schon drei mürrische Instagram-Kommentare zum Shitstorm hochgeschrieben. Tatü-Tataa, Tatü-Tataa, die Feuerwehr ist auch bald da … Wahrscheinlich war wieder gar nichts. Außerdem hatten wir das doch alles schon bis zum Abwinken: ALDI-Chic, Proleten-Chic, Obdachlosen-Chic, Heroin-Chic, Radical-Chic, künstlicher Dreck, Christiane-F-Glamour, Straßenstrich, RAF-Vintage-Versace-meets-Guerilla-meets-LIDL-meets-Kalaschnikow, Kotze mit Glitter dran für 10.000 Dollar. Was haben Menschen, die sich über so eine langweilige Armuts-Ästhetik angeblich noch aufregen, eigentlich in den 90ern und frühen 2000ern gemacht? Ach richtig, die waren da noch gar nicht geboren. Das vergesse ich manchmal.

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Dabei ging der Trend zum hippen Müll doch schon viel früher los, spätestens mit der alten Tante Punk. Über 40 Jahre ist das nun schon her. Sicherheitsnadeln, Plastiktüten, zerrupfte Lumpen, Opas Wehrmachts-Stiefel, ja sogar Hakenkreuze haben sie im Hause Westwood und McLaren damals getragen. Da würden die dauerempörten Hashtag-Hasis der Generation Z aber mal richtig Schnappatmung bekommen. Irgendwann war dann der Griff in die Altkleidersammlung der heißeste Fashion-Trend. Welcher Teenager mit Hang zur Exzentrik hat sich nicht ein Loch in den Bauch gefreut, wenn er auf Second-Hand-Märkten oder auf der Müllhalde nebenan ein Jacket aus den 50ern oder eine übergroße stinkende Fellmütze aus Stalingrad ergattern konnte! Die Lehrer und die Popper aus der Nachbarklasse rümpften die Nase und man selbst war wenigstens eine Woche lang die coolste Sau auf dem Schulhof. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die großen Luxusmarken das Zeug nachbasteln würden. Alles schon dagewesen, alles durch. Es ist wirklich lächerlich, sich über so etwas noch aufzuregen. Man kann sich nicht mal mehr darüber lustig machen, denn diese zugekoksten Irren aus der Modeindustrie haben längst jeden Witz tausendmal durchgespielt und recycelt. Jeden Trend, jedes Jahrzehnt, jeden hotten Vintage-Mist, jede Unterhose und Zwangsjacke haben sie durch den Fleischwolf gedreht, mit Graffiti besprüht, Diamanten drauf geklebt und über den Laufsteg gejagt. Und jetzt? Jetzt kommt Alessandro Michele, der aktuelle Meister der internationalen Müllhalden, und lässt für Gucci einen Haufen androgyner Roboter um ein riesiges Pendel in Mailand marschieren … Das ist neu, das ist neu, Hurra Hurra die Schule brennt!

Unter Leuten – The Musical

Yesterday’s weirdness is tomorrow’s reason why. 
(Hunter S. Thompson)

Schauplatz Victoria-Bar, vier Uhr morgens. Ich sitze vor meinem zwölften Wodka-Martini und weiß nicht mehr genau, warum ich eigentlich hier bin. Unter dem Tisch liegt Ben Becker und isst Erdnüsse, die Stimmung ist ausgelassen. Neben mir sitzt eine Frau und lallt mir ins Ohr. Sie verwechselt mich mit jemandem, ich glaube mit Tom Tykwer. Sie ist ganz schön geladen, war heute schon auf mindestens fünf verschiedenen Berlinale-Empfängen. Seit dem frühen Abend pitcht sie tourettehaft ihre Drehbuch-Konzepte durch die Stadt und jetzt bin ich wohl dran. Sie würde wirklich gerne die Lebensgeschichte von Greta Thunberg verfilmen, mit Emma Schweiger in der Hauptrolle. Wir sollten das jetzt machen, meint sie, denn wenn wir das nicht machen, macht es ein anderer! Na, dann machen wir das jetzt mal schnell, sage ich, schließlich bin ich jetzt Tom Tykwer und hackedicht. Die Tür geht auf und Dieter Kosslick fällt herein. Auch er weiß eigentlich nicht, warum er hier ist, aber er hat draußen den roten Fußabtreter gesehen und dachte, er schaut mal rein. Alte Gewohnheit. Alle lachen, hahaha, der Glamour-Dieter, der weiß, wie man einen Auftritt hinlegt! Saalrunde, jetzt wird nachgetankt! Heike Makatsch kommt vorbei und fragt, ob wir ihren Hund gesehen hätten – einen alkoholsüchtigen Mops, der aussieht wie Moritz von Uslar. Die Pitcherin hängt mir immer noch am Ohr. Was richtig Großes will sie endlich mal machen, lallt sie, eine Juli-Zeh-Verfilmung, einen Tatort, oder was mit Cate Blanchett! Ob ich nicht zufällig die Nummer von Cate Blanchett hätte? Alles langweilig, lalle ich zurück, sie soll sich mal was neues trauen, Prost, meine Liebe! Jetzt kommt sie in Schwung … Ja, wir müssen die Leute mal wieder aus den Sitzen hauen, den Zeitgeist ficken, mal was richtig kontroverses machen … was mit Nazis und Klimawandel und allem drum und dran, aber edgy und experimentell, denk an Fatih Akin, Schlingensief, Werner Herzog, nur viel krasser … auf Netflix, mit einem Nachwuchsregisseur, der Asperger hat und seine Schauspieler anschreit … Ich fange an zu singen … Schließlich einigen wir uns dann auf einen apokalyptischen Klima-Thriller, in dem ein sprechender Mops namens Greta (gespielt von Udo Kier) im Hambacher Forst ein unterirdisches Folter-Labor betreibt und aus den Knochen von AfD-Wählern Solarbatterien herstellt – zu gleichen Teilen episch und splatterhaft erzählt, Cloud Atlas meets Deutsches Kettensägenmassaker meets Stalker meets Unterleuten, aber als Musical und in schwarz-weiß. Wir müssen das jetzt machen, rufe ich, sonst macht das ein anderer! Dann rutsche ich vom Stuhl und streite mich mit Ben Becker um die letzten Erdnüsse. Cut!

red

Im Reich der Zähne und der Tränen

Anlässlich der 1000. Staffel von Germany’s Next Topmodel möchte ich hier einen Text abladen, den ich vor ungefähr sechs Jahren nach dem damaligen Finale eben jener wunderbaren Sendung verfasst habe und den ich bisher, soweit ich weiß, noch nicht im Internet veröffentlicht hatte. Bekanntermaßen sind Keith Richards und Heidi Klum die einzigen Menschen, die den nächsten Atomkrieg überleben werden, aus ihnen wird dereinst die neue Superrasse entstehen. Bis dahin gilt: immer schön einen Fuß vor den anderen, Personality zeigen und Gas geben – denn die Konkurrenz schläft nicht!


Ein Sandsturm zieht auf. Erbarmungslos peitschen Millionen kleiner Steine in das aufwendig geschminkte Gesicht eines Mädchens. Sie sitzt in einem offenen Helikopter und versucht, nach unten zu schauen. Gleich wird sie hinabgeworfen werden, fünfhundert Meter in die Tiefe, während sie für einen vorbeifliegenden Fotografen posieren soll. „Sexy! Sexy! Sexy!“ schreit eine Stimme irgendwo aus den wirbelnden Sandmassen. Wenn sie unten ankommt – in der mongolischen Wüste, in Dubai oder mitten auf dem Gaza-Streifen (sie hat während ihrer interkontinentalen Mission der letzten Wochen etwas Überblick verloren) – dann wird sie ihrem Ziel wieder einen Schritt näher sein. Vorausgesetzt sie überlebt den Aufprall und das nächste Foto-Tribunal … 

Als ich aufwache, ist es kurz vor Mitternacht. Ich habe das große Finale verpasst. Ich reibe mir die Augen und schalte den Fernseher ein. Dort stehen zwei Blondinen mit Moderationskärtchen auf einer zerstörten Großraumbühne. Überall liegt Konfetti. Es scheint vorbei zu sein, die Schlacht ist geschlagen. Aber die Blondinen kündigen noch ein Heidi Klum-Special an, das dem Zuschauer alles über den schillernden Werdegang des deutschen Weltstars verraten soll. Vielleicht gibt es da draußen ja wirklich noch Menschen, die noch nicht genug über sie wissen. Und so erfahre ich zum fünfhundertsten Mal, dass es ein Bikini war, der die zentrale Rolle auf ihrem Weg zum Ruhm spielte. Insgesamt wird Frau Klum hier als genau das präsentiert, wofür sie die Journaille ihres Heimatlandes so verachtet: eine mopsfidele Vermarktungsmaschine mit sehr vielen weißen Zähnen, die sie uns bei jeder passenden Gelegenheit wie eine Waffe entgegenblitzen lässt. In diesem Moment wird mir klar, dass ich gar nichts verpasst habe, die Gewinnerin stand längst fest, sie heißt wie immer: Heidi! Heidi! Heidi! Das ist alles, was ich wissen muss. Die Mission ist erfüllt, die Demütigungen sind überstanden und die Namen der Opfer bereits vergessen. Einmal, es liegt bereits Jahre zurück, da strahlte am Ende der gleichen Veranstaltung so etwas wie Wahrhaftigkeit aus Heidi Klum heraus. Es war spät, wieder war alles voller Konfetti. Sie wurde in eine Kulisse geschoben und vor laufender Kamera gefragt, wo denn ihre Familie sei. Für diesen kurzen Augenblick hörte ihr Gebiss auf zu blitzen und sie sprach: „Die wissen gar nicht genau, was ich hier mache, und das ist eigentlich auch ganz gut so.“

Zähne und Tränen, das sind die wesentlichen Bestandteile dieses bizarren Wettbewerbes, der Rest sind niedere Instinkte, eine niedere Komik und ein noch viele niedereres Vokabular. Worte aus einer anderen Welt, einer Welt ohne Sinn und Grammatik, einem debilen Reich, das sich selbst genügt. Ja, niedrig ist diese Sprache – so niedrig, dass sie nicht einmal mehr am Boden liegt, sondern bereits eingesickert ist in die oberen Erdschichten, wo sie sich mit all dem Konfetti, den Tränen und dem Blut der Opfer vermischt. Aus diesem faulenden und nährreichen Humus wird schon bald wieder neues Leben entstehen.

Haut und Knochen

Wahrscheinlich haben Sie es schon gehört bzw. gelesen: Zombie Boy ist tot. Über den Tod eines Zombies zu berichten, gehört zu den Merkwürdigkeiten dieses Sommers. Rick Genest, der junge Mann hinter dem untoten Image, hatte offenbar Gründe, sich derart zutätowieren zu lassen. Eine Krankheit, ein Tumor, ein Schicksal … irgendwas ist ja immer. Tätowierungen sind (zumindest dort, wo sie nicht sowieso schon Teil einer kulturellen Tradition waren) traditionell das Markenzeichen der Outlaws, der wilden Jungs, die den anderen beweisen wollten, was für ein schweres Leben sie hatten.

Heutzutage funktioniert das natürlich nicht mehr so richtig, denn die halbe Bevölkerung ist mittlerweile zugekritzelt. Schön ist das in den seltensten Fällen. Was früher vielleicht noch als Geschmacksverfehlung gnädig in den eigenen vier Wänden verborgen blieb, wird heute stolz auf der Haut getragen. Die eigene Epidermis ist für viele Menschen Leinwand, Tagebuch und öffentliches Familienalbum zugleich. Und was nicht mehr auf die Arschbacken oder zwischen die Schulterblätter passt, das wird dann bei Facebook reingekippt. Hauptsache es wird sichtbar. Zombie Boy hatte es geschafft, sich davon abzuheben, denn er hatte ein überzeugendes ästhetisches Konzept. Indem er die eigene Anatomie konsequent nach außen drehte, karikierte er auch den Exhibitionismus seiner Mitmenschen. Das war gut gemacht und auf diese spezielle Art schön anzusehen. Er war quasi ein wandelndes radioaktiv verstrahltes Gunther-von-Hagens-Testimonial, das selbst auf einer Tattoo-Messe noch auffallen konnte. Aber wie fühlt sich das wohl an, jeden Tag einen Totenkopf im Spiegel zu erblicken? Erinnert einen das an die eigene Sterblichkeit? Verliert man darüber irgendwann den Verstand? Jetzt ist es leider zu spät, ihn zu fragen. Es sei denn, er kehrt tatsächlich noch mal von den Toten zurück.

Seine Bekanntheit verdankte der Zombie Boy vor allem dem Stylisten und Moderedakteur Nicola Formichetti, der seinerseits Berühmtheit dadurch erlangte, Lady GaGa in einen Alien verwandelt zu haben. Formichetti war nicht der Erste, der stark tätowierte Models buchte, aber mit Zombie Boy hatte er wohl den Hauptgewinn gemacht, zumindest für ein bis zwei Saisons. Mehr kann man in der Modebranche nicht erwarten. Sie haben dort schon alles durch: Heroin-Chic, Nazi-Chic, Alien-Chic und nun eben auch Zombie-Chic. In Robert Altmans Film „Prêt-à-Porter“ wurde dieser Hang zu kalkulierten Schock-Effekten einst auf die Schippe genommen, als die Models dort auf einer der Schauen komplett nackt auf den Laufsteg geschickt wurden. Sie würden mittlerweile aber auch Skelette buchen, wenn das möglich wäre. Nicht einfach mehr nur unterernährte Teenager, keine Haut und Knochen, nein, nur noch Knochen. Wie das in etwa aussehen könnte, hat ihnen Zombie Boy zumindest schon mal gezeigt.

Grauer Glanz

„It’s very difficult to keep the line between the past and the present.
You know what I mean?“
(Little Edie)

Es war wohl das gleichnamige Lied von Rufus Wainwright, das mich vor einigen Jahren dem Kult um „Grey Gardens“ näher brachte. Davor hatte ich bereits Fotos von dieser seltsamen Frau gesehen. Gekleidet in einen alten Pelzmantel, das Gesicht von einem dieser engen Kopftücher eingerahmt, die zu ihrem Markenzeichen werden sollten – so stand sie, die einstige Schönheit, inmitten ihres verwilderten Gartens und schaute traurig in die Kamera. Im Hintergrund die legendäre Ruine in East Hampton, ihr Zuhause, das sie sich mit ihrer Mutter, mehreren dutzend Katzen und mitunter auch einigen Waschbären teilte. Wenn ich für etwas eine Schwäche habe, neben der Musik von Rufus Wainwright, dann für alte Villen und für exzentrische Persönlichkeiten. Wie hätte ich mich da dem Zauber von Little Edie und ihrer glanzvollen Biographie entziehen können? Wer ihre Geschichte noch nicht kennt, kann sie unter anderem hier zusammengefasst nachlesen oder sich direkt auf „Grey Gardens“ einlassen, den vielleicht faszinierendsten Dokumentarfilm, der jemals gedreht wurde. Edith Bouvier Beale, geboren am 7. November 1917, wäre heute einhundert Jahre alt geworden.

Edie-Beale_Warhol_1976

“I’ve been a subterranean prisoner here for twenty years. If you only knew how I’ve loathed East Hampton, but I love Mother … they must have found out how I hated this house. They must have heard my scream.”
(„The Secret of Grey Gardens“, New York Magazine, 1972)


Abbildung: Little Edie / Polaroid von Andy Warhol

La La Land ist abgebrannt

Über wen haben wir in dieser Woche viel zu wenig gelesen? Über Harvey Weinstein natürlich. Viel zu wenig über die schlüpfrigen Treffen in Hotelzimmern, über seinen offenen Bademantel, seine Zudringlichkeiten, seine Dauererektion und darüber, was das alles mit dem Filmgeschäft der letzten 20 Jahre gemacht hat. Da geht noch mehr, ganz sicher. Während viele A-Lister bereits ihre Oscars und Golden Globes wie Nazi-Memorabilia im Keller verstecken, melden sich noch immer neue Opfer zu Wort. Der Chor der Gedemütigten, Begrapschten und Empörten wird täglich größer. Wir wissen: in Zeiten von Social Media muss Schadensbegrenzung im Express-Tempo absolviert werden. Wer auch nur einen Tag zu lange mit einem Kommentar wartet, steht im Verdacht, die finsteren Umtriebe des Produzenten unterstützt zu haben und wird unweigerlich mit ihm im Strudel des PR-Desasters untergehen. Was denkt Heidi Klum? Warum schweigt Matt Damon? Hillary, what took you so long? Dabei kannten sie doch alle die Gerüchte und hatten sie so gut es ging ignoriert. Den Rest übernahm im Zweifelsfall Weinsteins Rechtsabteilung und die Kaffeekasse der Firma. Mitmachen, Klappe halten, Preise kassieren – ein gutes Geschäft für (fast) alle Seiten. So läuft das. Bis schließlich das Machtgefälle kippt und die Schweigegelder aufgebraucht sind. Irgendwann ist eben immer Schluß, Empires must fall. Und so befindet sich der dicke Harvey, das Monster und Arschloch der Stunde, nun im freien Fall. Und Hollywood ekelt sich vor sich selbst. Wir werden jetzt noch maximal eine Woche lang Kommentare, Statements, Abgrenzungen und Hashtag-Feminismus erleben. Danach wird das Gras gebeten, auch über diese Sache zu wachsen. So meine Prognose.

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Höhere Wesen befahlen: Internet vollschreiben!

Einem inneren Zwang gehorchend, starre ich eine Frau in der S-Bahn an. Ich kann nicht anders. Normalerweise gucke ich als moralisch abgewrackter Großstädter natürlich durch die Menschen hindurch. Aber normal gibt es heute nicht. Da ist sie also, direkt vor mir, Mitte 40 schätze ich. Schau sie dir ganz genau an, sage ich zu mir, da sitzt dein Pulitzer-Preis, präge dir jedes Detail gut ein! Sie bearbeitet ihr Smartphone mit spitzen Fingern und lächelt dabei irre. Ihr äußere Erscheinung ist in jeder Hinsicht ästhetisch prekär. Die Haare strahlen in einem 99 Cent-Aua-Blond, für das sie selbst auf dem bulgarischen Drogenstrich gesteinigt werden würde. Die Gesichtshaut ist überbräunt und zugrunde geraucht, darüber ein brutales schwarzes Augen-Make-Up, das mir sagen möchte: Ich bin eine ganz harte Schwester, habe aber auch eine gefühlvolle Seite, außerdem hatte ich heute morgen nur fünf Minuten Zeit, und wer bist du alte Schwuchtel eigentlich, dich über mein Make-Up lustig zu machen!!?? Tätowierungen, natürlich, überall. Und jede Menge Silber-Bling. Ihre Kleidung ist so schrecklich wie praktisch: ein enger Kapuzen-Pullover, robuste grüne Bergsteigerhosen, an den Füßen ein paar quietschbunte Badelatschen von Ed Hardy. Diese Latschen sind eigentlich das auffälligste an ihr. Sie trägt keinen Mantel oder eine auch nur annähernd dem Wetter entsprechende Überbekleidung. Dafür hat sie zwei riesige Plastiktüten dabei, die mit chemischen Reinigungsprodukten aller Art gefüllt sind. Nein, eine Obdachlose ist sie nicht. Ich tippe auf eine tendenziell rechtsradikale Schrebergärtnerin mit Putz-Zwang. Oder eine Überlebende der letzten großen Love Parade, die gerade erst aus dem Koma erwacht ist und kurz danach eine Rossmann-Filiale überfallen hat. Warum sie bei minus zehn Grad Außentemperatur in dieser Aufmachung durch die Stadt läuft? Die Antwort liefert sie sogleich selbst, als ihr beide Plastiktüten umfallen und der Inhalt quer durch die Bahn kullert. „Chaos heute!“ ruft sie fröhlich. Am Potsdamer Platz steigt sie aus. Es ist Berlinale. Vielleicht war das gerade einfach nur Maggie Gyllenhaal. Oder Claudia Roth. So. Wo ist jetzt mein Pulitzer?

Murder Weekly (Hühner, zur Sonne, zur Freiheit!)

„Aber ist es nicht wahrscheinlich, dass jeder, der auf dieser Welt etwas zählt (…) auf dem Weg nach oben den ein oder anderen Menschen umgebracht hat? Wenn man nur genug Leute umbringt, dann errichten sie einem Bronzedenkmäler neben dem Parlament in Delhi – aber das wäre Ruhm, und danach strebe ich nicht. Ich wollte nur die Chance, ein Mensch zu sein – und dafür reichte ein Mord.“

Ich hatte dieses Buch bereits vor Jahren geschenkt bekommen. Seitdem ist es immer wieder durch diverse Regale gewandert, ohne dass ich mich zur Lektüre durchringen konnte. Weshalb eigentlich? Vielleicht interessierte mich Indien einfach nicht genug. Obwohl die Inder und Chinesen doch spätestens in zehn Jahren endgültig das Ruder auf diesem Planeten übernehmen werden (erste Entscheidung im neuen Jahr: Hindi oder Mandarin lernen?) Vielleicht hatte ich auch einfach schon genug Reiseberichte von überspannten Damen gehört, die stets mit einem Haufen Eso-Tinnef, bunten Fotoserien, nervtötenden Weisheiten sowie mit Beschreibungen monströser Durchfallerkrankungen zurückkehrten. Eat, Pray, DiarrheaNatürlich war mir klar, dass die auf ihren Selbstfindungs-Trips genauso wenig über Indien gelernt hatten wie ich zuhause beim Streamen eines Bollywood-Musicals. Kurz vor Weihnachten habe ich dann endlich „Der Weiße Tiger“ von Aravind Adiga gelesen. Bin ich jetzt schlauer? Zumindest habe ich mir danach wieder einmal Gedanken darüber gemacht, was es eigentlich bedeutet, ein freier Mensch zu sein. „Der Weiße Tiger“ erzählt die Geschichte eines ungewöhnlichen Aufstieges, irgendwo zwischen „Slumdog Millionaire“ und “So wirst du stinkreich im boomenden Asien“. Die indische Gesellschaft wird hier als ein korrupter Moloch beschrieben, der sich nach außen als größte Demokratie der Welt verkauft, im Innern aber durch eine brutale Hackordnung zusammengehalten wird, in der immer noch die Herkunft über den Wert und das Schicksal eines Menschen entscheidet. Dass der Held in dieser Geschichte am Ende seinen Herren ermordet (das Wort „Boss“ wäre hier wirklich untertrieben und daher fehl am Platz), um sich so aus den Zwängen seiner niederen Geburt zu befreien, ist dabei gar nicht mal das Spannendste. Viel interessanter ist die Frage, warum so etwas nicht viel öfter passiert, und warum sich so unglaublich Viele mit der ihnen zugewiesenen Rolle als Menschen zweiter oder dritter Klasse abzufinden scheinen.

„Dass die Fahrer und Köche in Delhi alle ‚Murder Weekly‘ lesen, muss nicht heißen, dass sie ihren Herren demnächst den Hals durchschneiden. Sie würden natürlich gerne. Selbstverständlich stellen sich Milliarden Diener heimlich vor, wie sie ihre Arbeitgeber erwürgen – darum bringt die indische Regierung ja auch diese Zeitschrift heraus und verkauft sie für nur viereinhalb Rupien auf der Straße, sodass selbst die Armen sie sich leisten können. Es ist nämlich so: Der Mörder in den Geschichten des Blattes ist immer so gestört und sexuell abartig, dass nicht ein Leser sein will wie er — und am Ende wird er immer von irgendeinem ehrlichen, fleißigen Polizisten (ha!) gefasst, oder er wird vollkommen wahnsinnig und erhängt sich mit einer Bettdecke, nachdem er einen gefühligen Brief an seine Mutter oder seinen Grundschullehrer geschrieben hat, oder er wird vom Bruder der Frau, die er umgebracht hat, verfolgt und erwischt, verprügelt und erdrosselt. Wenn also Ihr Fahrer die ‚Murder Weekly‘ durchblättert, entspannen Sie sich. Für Sie besteht keine Gefahr. Ganz im Gegenteil.“

Können Sie sich noch an Truman Burbank aus der „Truman Show“ erinnern? Sobald der auf den Gedanken kam, aus seiner kleinen Welt auszubrechen, schob ihm die Regie alle möglichen Hindernisse in den Weg: plötzlich aufkommende Unwetter, Plakate mit Warnhinweisen zu den Gefahren des Reisens oder wohlmeinende Freunde, die ihn davon überzeugen wollten, dass es daheim doch immer noch am schönsten ist. Am Ende bricht er doch aus, ohne zu wissen was ihn erwartet. Der weiße Tiger dagegen kennt das Ziel seines Ausbruchs ganz genau. Er macht die Schauergeschichten aus „Murder Weekly“ zu seiner eigenen Biographie, ohne sich vor den Konsequenzen zu fürchten. Wer wirklich frei sein will, darf keine Angst haben. Der Hühnerkäfig der sozialen Kontrolle (Familie, Kollegen, Staat usw.)  – versuchen Sie mal, daraus auszubrechen. Versuchen Sie es. Nein? Nicht mal ein Versuch? Gestern habe ich mir eine Packung Taschentücher gekauft. Was das mit den erhabenen Gedanken zur Freiheit zu tun hat, fragen Sie? Nun, die Taschentuch-Industrie scheint sich neuerdings auch um weltanschauliche Fragen zu kümmern, denn auf einer Packung steht „Dream Big“, auf einer anderen „Enjoy the little things“. Heutzutage steht so ein Quatsch ja überall drauf. Ist das nicht auch eine subtile Art der Kontrolle – die Menschen mit Affirmationen, Glückskeksen und Kalendersprüchen bei der Stange zu halten? Auf dass sie gerade genug Optimismus zum Weitermachen aufbringen, aber bescheiden genug bleiben, nicht zu viel vom Leben zu erwarten? How about „Stop dreaming!“ and „Enjoy the big things!“ Sollte ich mich demnächst als Entrepreneur in der Drogerie-Branche versuchen, werde ich das auf meine Taschentücher drucken lassen. Und noch ein paar aufmunternde Zitate von Nietzsche, Müller und Joan Rivers („If I ever lose my middle finger, I will have nothing left to say!“) Make Naseputzen great again!

Und jetzt noch flott die obligatorische Neujahrsansprache. Ein mörderisches, brutales Jahr war es, so liest man überall. Eines, in dem man permanent betroffen zu sein hatte und sich gleichzeitig fragen musste, weshalb das Leben eines einzelnen Menschen, z.B. das eines Popstars oder einer ehemaligen Weltraumprinzessin, so viel mehr Aufmerksamkeit erhält als das von zwölf Zerquetschten. Und warum letztere immer noch wichtiger sind als eine halbe Million Kriegsopfer. Die Antwort ist, denke ich, recht simpel: Der eine schrieb „Last Christmas“, die anderen mussten es sich auf dem Weihnachtsmarkt anhören – wahrscheinlich auch noch wenige Sekunden vor ihrem Tod – und der Rest hatte weder für das eine noch für das andere ausreichend Freizeit und Gelegenheit. Die Chancen, ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen, vielleicht sogar eines, in dem man sich Urlaubsreisen leisten kann, Glühwein trinkt und nebenbei ein paar Spenden für die dritte Welt abdrückt – ganz zu schweigen von einer glamourösen, unsterblichen Existenz zwischen Kokainrausch und Klatschpresse – diese Chancen sind ganz offenbar noch immer ungleich verteilt. In diesem Sinne: Goodbye, George, und all ihr anderen. It’s hard to love, there’s so much to hate.