Wer nicht hüpft, der ist für Kohle! (Klima in Zeiten religiöser Dürre)

Have a drink. Lighten up. You could die soon.
(Bianca Del Rio)

Die Natur ist dem Menschen ein kostbares Gut, ganz besonders die frische Atemluft – daran werde ich immer dann erinnert, wenn ich in eine Berliner S-Bahn einsteige. Wir müssen dankbar sein für jeden Atemzug, der uns noch bleibt, denn eigentlich sind wir längst am Ende. Die Atmosphäre, das Grünzeug, das Wetter, der ganze Planet sind doch schon völlig hinüber. Nach dem, was man so hört. Es ist nicht mehr fünf vor Zwölf, es ist fünf Minuten nach Weltuntergang. Wir sollten uns längst panisch in ein Erdloch verkrochen haben, aufhören herumzureisen, zu twittern und die Klospülung zu betätigen. Wir sollten unsere Smartphones wegschmeißen, uns von selbstgezüchteten Rübchen ernähren und schließlich darauf hoffen, dass die Apokalypse sich so noch gnädig umkehren lässt. Stattdessen machen einfach alle weiter wie bisher. So geht das doch nicht!

end

Vor zehntausend Jahren (grobe Schätzung), als die Luft noch jungfräulich rein war und die Menschen mit Tierfellen bekleidet durch das Ende der Eiszeit stapften, da huldigten sie den Naturgewalten wie Göttern. Überhaupt war ja der Götterglaube ursprünglich stark ans Wetter gebunden. Sonne, Regen, Sturm und Donner wurden wahlweise als Belohnung oder als Strafmaßnahme für menschliches Verhalten interpretiert. Der Klima-Aktivismus unserer Tage propagiert die Erbsünde inzwischen zwar lieber mit akademischen Studien als mit der Bibel, das Prinzip ist aber ähnlich. Früher wurden wir halt für aufmüpfige Fragen oder abweichende Sexualpraktiken bestraft, heute für den Konsum von Plastik und Cheeseburgern. Die Krise der Kirche ist eine institutionelle, aber keine Glaubenskrise. Denn glauben wollen die Menschen weiterhin leidenschaftlich und wahrhaftig, am liebsten an die eigene Schuld und Schlechtigkeit. Na gut, eigentlich an die des Nachbarn, der Schwiegermutter, der Regierung, der Männer oder ganz einfach an die Schuld aller Erwachsenen – die sind schließlich schon länger am Leben, die alten Pottsäue! Was glauben Sie, liebe Gemeinde: welche Rolle spielt eigentlich der Ausstoß von Kohlendioxid für die langfristige Entwicklung des Klimas auf der Erde? Hilft es Ihnen vielleicht, das mal von ein paar kulleräugigen Teenagern erklärt zu bekommen? Haben Sie jetzt endlich Angst? Sie müssen die Angst spüren, sonst wird das nichts mit der Weltverbesserung. Die beliebte bayerische Social-Media-Influenzerin Katharina Schulze forderte im letzten Wahlkampf „mehr Emotionen“ in der Politik. Ja, noch mehr Emotionen. Als gäbe es nicht längst diesen komplett infantilisierten, durchgehashtagten, auf solides Teletubby-Niveau heruntergedummten Zirkus, mit dem uns die angesagten Panik-Themen täglich neu verkauft werden. Aber auch das ist ja nicht neu, wir erinnern uns an Karl, den Käfer. Der wurde bekanntlich nicht mal gefragt … vor allem nicht, ob er seine Vita für einen schlechten Öko-Schlager missbrauchen lassen möchte. Wahrscheinlich hieß er nicht mal Karl. Aber ich schweife ab. Politische Propaganda greift nun mal traditionell gerne auf Kinder, Käfer und auch Entenbabies zurück, um zu überzeugen. Und „wer nicht hüpft, der ist für Kohle!“ (Neulich auf einem #FridaysForFuture-Account gelesen, Rechtschreibung verbessert.) Amen.

Am Ende musste ich weinen.

Seit einer halben Stunde muss sie aufs Klo. Entsprechend unruhig trommelt sie mit den Fingern auf den Tisch. Die Präsentation stockt. Die zwei Heinis von der Agentur suchen verzweifelt nach einer vermissten Powerpoint-Folie. Das Trommeln macht die beiden zusätzlich nervös. „Das ist uns jetzt aber wirklich peinlich, Frau Bundeskanzlerin.“ Heini Nr. 1 wischt mit schwitzigen Fingern über sein Laptop, während Heini Nr. 2 verkrampft in die Runde grinst. *Trommel-trommel-trommel* Sie seufzt. Die sind sowieso nur hier, weil ihr Chef die Empfangs-Susi der Jungen Union vögelt. Alle wissen das. Sie schaut jetzt zu Tauber rüber, der ihr das vereinbarte Zeichen gibt. Zweimal die linke Augenbraue nach oben bedeutet: Durchhalten, gleich machen wir Mittagspause.

Plötzlich kommen die Heinis doch noch mal richtig in Schwung. Die vermisste Folie ist wieder aufgetaucht. Virales Marketing ist das Thema. Sie reden von Likes und Learnings, und sie präsentieren voller Stolz ein Video mit dem Titel „Sie werden nicht glauben, was dieses krebskranke Entenbaby in Sachsen-Anhalt seiner Mutter zum Geburtstag schenkte. Am Ende musste ich weinen.“ Das Entenbaby heißt Angela. „So stellen wir eine unterschwellig emotionale Bindung zur Kanzlermarke her“, erklärt der Heini Nummer eins. „Laut einer aktuellen Studie identifizieren sich 75 Prozent aller Wähler eher mit einem niedlichen Küken als mit einer politischen Botschaft.“ Ihr schwirrt der Kopf. Ich fang auch gleich an zu heulen, denkt sie. Die Agentur-Heinis von gestern hatten wenigstens ihre Klappe gehalten, erinnert sie sich. Obwohl sie anfangs nicht gleich verstanden hatte, weshalb. Ja, weshalb hielten die eigentlich ständig bunte Bildchen in die Luft, ohne etwas zu sagen? Tauber hatte ihr schließlich erklärt, dass es sich bei der seltsamen Truppe um die derzeit angesagteste Social-Media-Agentur vom Maybachufer handelte. Deren Spezialität waren „postsprachliche“ Kampagnen, die ausschließlich aus Emojis bestehen. Um diese innovative Idee erlebbar zu machen, wurde auch die Präsentation konsequenterweise komplett mit Emojis abgehalten. Ohne Worte. Zwischenzeitlich hatte sie sich gefühlt wie beim Inklusionsfasching in einer Taubstummen-Kita. „Schauen Sie mal, Frau Merkel, wie süß es watschelt!“, ruft Heini Nr. 1 gerade und holt sie zurück in die Gegenwart. Sie gibt Tauber Zeichen. Dreimal beide Augenbrauen nach oben bedeutet: Sofort abbrechen! „Sehr schön. Vielen Dank, meine Herren!“

„OMG, Angela, OMG! Diesmal wird die Wahl auf Facebook entschieden, auf Twitter und auf BuzzFeed. Die Presse kannst du endgültig in der Pfeife rauchen. Das Kanzlerduell interessiert auch niemanden mehr. Schau mal, wie die Amis das gemacht haben. Wir müssen jetzt ganz andere Kanäle bespielen!“ „Ja ja, ich weiß. Aber doch nicht mit Entenbabies oder tanzenden Kackhaufen mit Gesichtern drauf! Apropos: Ich geh jetzt mal für kleine Mädchen. Wenn ich wiederkomme, will ich endlich ein paar vernünftige Ideen hören, Tauber! Denk doch mal über dieses Gorilla-Marketing nach.“ „Guerilla, Angela, Guerilla!“

Ende 2017: die Schwarz-Rot-Rot-Grün-Gelbe Koalition steht. Die Idee, in letzter Minute eine Gruppe von Studenten der Humboldt-Universität zu engagieren, die mit #MerkelBleibt-Schildern das Kanzleramt besetzten, hat sich ausgezahlt. Zur gleichen Zeit verhandelt Frauke Petry mit den Russen über einen Militäreinsatz zur Stürmung des Regierungsviertels. Und die Empfangs-Susi der Jungen Union ist im siebten Monat schwanger.