Pommes, blau-gelb

Die ukrainische Frontstadt Saporischschja liegt in einer fast perfekt laufenden vertikalen Luftlinie knapp 1.800 Kilometer von Jerusalem entfernt. Der Nahost-Konflikt hat sich nach Norden verschoben. Und ich habe ihn verpennt. Genauer gesagt, habe ich es durch meine selbst verordnete einjährige Blogpause versäumt, hier meiner Rolle als aufrechter Schreibtisch-Soldat nachzukommen (an anderer Stelle hatte ich dazu allerdings bereits etwas fabuliert, so viel Eigenwerbung muss sein), während Selenskyj-Fanboys und Putinisten im Internet heißblütig die Frontlinien markierten. Inzwischen ist die Schlacht deutlich weiblicher geworden – Uschi und Annalena gegen Sahra und Alice, Panzer:innen gegen Pazifist:innen. Vor zwanzig Jahren wurden in den USA „French Fries“ zu „Freedom Fries“ umbenannt, weil Frankreich sich damals nicht am Irak-Krieg beteiligen wollte, erinnern Sie sich? Semantische und inhaltliche Umdeutungen hat es im Zuge des Ukraine-Krieges auch schon reichlich gegeben, kulinarische dagegen eher nicht. „Russisch Brot“ heißt immer noch „Russisch Brot“. Vielleicht, weil „Westliche-Werte-Wecken“ dann doch etwas zu sperrig klingt.

Ausgehitlert

Ich verstehe nicht, wo er bleibt. Immer diese Unpünktlichkeit!
Seit Stalingrad liegt er besoffen im Bett und ignoriert die Essenszeiten.

(aus „100 Jahre Adolf Hitler“, Christoph Schlingensief, 1989)


Dreimal hat Udo Kier jetzt bereits den Führer gespielt. Zuerst in Schlingensiefs chaotischer Low-Budget-Farce, dreißig Jahre später dann in dem per Crowdfunding finanzierten Science-Fiction-Trash „Iron Sky: The Coming Race“ und schließlich ganz aktuell in der zweiten Staffel von „Hunters“, die vor wenigen Tagen erst auf Amazon Prime veröffentlicht wurde. Immer wieder Hitler. Vielleicht sind es seine stechenden blauen Augen. Vielleicht ist er aber auch einfach nicht besonders wählerisch. Mir ist wirklich keine andere Schauspieler-Vita bekannt, die derart umfangreich ist und so schmerzfrei zwischen B-Movies, Independent-Kino, Trash und Mainstream hin- und her pendelt wie die von Udo Kier. Für Andy Warhol hat er vor der Kamera gestanden, für Fassbinder, Lars von Trier, Dario Argento, Gus Van Sant und für Madonna.

Eva Braun und Adolf Hitler, kurz nach ihrer Hochzeit im Bunker (Szene nachgestellt)


Nun also „Hunters“: in dieser Serie geht es um eine illustre Gruppe von Nazijägern im New York der späten 70er Jahre. Stilistisch ist das Ganze eine schwer verunfallte Mischung aus infantilem Agentenhriller, Superhelden-Saga und moralischer Abrechnung, irgendwo zwischen „Suicide Squad“ und „Schindlers Liste“. In der ersten Staffel lässt sich das noch einigermaßen ertragen. Außerdem gibt es am Ende einen netten kleinen Plot-Twist, den ich hier allerdings nicht verraten werde – es soll ja Leser geben, die sich von solchen Kritiken nicht abgeschreckt, sondern eher ermutigt fühlen.

Was es zum Abschluss der ersten Staffel aber auch gibt, ist eine Ankündigung: Die Jäger sind noch nicht am Ziel, denn irgendwo in der argentinischen Pampa hat sich doch tatsächlich Adolf Hitler versteckt! Vorhang auf für eine mehrstündige Tour de Force der sowohl historischen als auch cineastischen Fremdscham. Es funktioniert einfach nicht. Die ganze Serie funktioniert nicht. Weil sie sich nie so richtig zwischen Realismus, Pathos und Pulp Fiction entscheiden kann. Und weil wer auch immer hinter diesem teuer aufgebrezelten Murks steckt, eben nicht das Talent von Quentin Tarantino besitzt. Dabei mag ich Tarantino nicht einmal besonders. Erwähnt werden muss leider auch noch, dass hier eine ganz Riege hochkarätiger Schauspiel-Legenden verbraten wird (unter anderem Al Pachino, Jennifer Jason Leigh und Lena Olin), denen ich nur wünschen kann, dass sich „Hunters“ irgendwann gnädig in die weniger frequentierten Archive der Filmgeschichte verabschieden wird. Aber ach, auch am Ende der zweiten Staffel gibt es eine Art Cliffhanger! Eine weitere Fortsetzung ist also nicht auszuschließen. Wird das Vierte Reich doch noch auf dem Mond errichtet? Muss Adolf sich vorher noch in der Gefängnisdusche vergewaltigen lassen? Wie auch immer, Udo Kier wird auch das nicht anfechten, er hat das schließlich alles schon durch.

Hitler im Film oder auf der Bühne – das funktioniert wohl bestenfalls noch als absurd überhöhte Projektionsfläche. So wie bei Schlingensief. Oder in Mel Brooks „The Producers“ (1967). Dort dient der Führer nur noch als Idee für ein durchgeknalltes Musical („Springtime for Hitler“), von dem sich seine Produzenten den ultimativen Flop erhoffen, das am Ende aber zum überraschenden Triumph einer eitlen schwulen Theater-Diva gerät: I’m the German Ethel Merman, don’t you know …

Gary Beach in der Neuverfilmung von „The Producers“ (2005)


Wir waren hier

Rückblick Sommer 2020: Ich sitze in einem Berliner Linienbus, der von Mad Max gefahren wird. Die Fahrerkabine ist mit groben Plastikfolien verkleidet, die aber nicht richtig festkleben und daher wild umherflattern. Was eigentlich als Schutzmaßnahme gedacht war, präsentiert sich als Symbol der Anarchie. Auf die Rückseite der Kabine hat jemand mit Marker „Wir waren hier“ gekritzelt, darunter die Initialen D und A. Mad Max nimmt jetzt eine scharfe Kurve, gefolgt von wildem Gehupe und Gefluche. Im Ohr habe ich „Great Southern Land“ von Icehouse, wie hat sich das nur in meine Playlist verirrt? Aber es passt, zum Wetter, zu dieser Busfahrt, zu meiner Stimmung, zu allem. Die Zeitreise beginnt.

Rückblick Februar 1997: Nördlich von Cairns sitzen wir in einem kleinen Pub, der außer uns nur von einer Gruppe geselliger, aber nicht sehr trinkfester Aborigines bevölkert wird sowie von zwei Berliner Backpackern. Natürlich treffen wir auch hier, mitten im Nirgendwo, auf Deutsche, noch dazu Berliner, wie sollte es auch anders sein. Wie sich herausstellt, wohnen die beiden daheim tatsächlich nur ein paar Ecken von meiner Wohnung in der Urbanstraße entfernt. Wir gehen offenbar sogar im gleichen Supermarkt einkaufen, mussten aber erst ans andere Ende der Welt reisen, um uns zu begegnen. Ich lerne außerdem Ruby kennen. Wir sind im selben Alter, was mich angesichts ihrer Erscheinung etwas überrascht. Ruby ist die erste australische Ureinwohnerin, mit der ich persönlich spreche. Für sie ist dieses Nirgendwo hier das Zentrum des Universums, Berlin kennt sie nicht. Künstlerin sei sie, so erzählt sie mir. Schade, dass wir nicht länger bleiben können, sagt sie, wir sollen wiederkommen und sie zuhause bei ihrer Familie besuchen. Eine Adresse hat sie nicht, wir sollen einfach hier im Ort nach Ruby fragen. Erst vor einigen Tagen hatte ich zum ersten Mal an der australischen Pazifikküste gestanden und mich so glücklich und frei gefühlt wie nie zuvor. Vielleicht auch, weil mir klar wurde, dass ich gute fünf Jahre davor noch in Kalifornien auf der anderen Seite dieses Ozeans gestanden hatte. Und dass ich wiederum drei Jahre davor nicht mal den Schimmer einer Ahnung davon hatte, wie riesig und gleichzeitig klein die Welt schon bald für mich werden würde.

Wenn ich heute, mit mehr als 25 Jahren Abstand, an diese Reise zurückdenke, frage ich mich nicht nur, was wohl aus Ruby geworden ist, sondern auch aus ihrem Kontinent, unserem einstigen Sehnsuchtsort mit seiner überwältigen Natur und diesen geradezu obszön freundlichen und entspannten Menschen. Fast nur noch Horror-Nachrichten gab es in den Corona-Jahren über das Great Southern Land zu lesen: übergriffige Behörden, Einreisebeschränkungen und Internierungslager. Australien, die ehemalige Sträflingskolonie, hat sich zurück in Richtung Totalitarismus entwickelt, mehr noch als Deutschland und der Rest der Welt. Ein Trauerspiel. Aber auch das wird ein Ende haben. Kein System ist von Dauer, so viel habe ich in meinem bisherigen Leben auf diesem schrumpfenden Planeten schon gelernt, und Freiheit ist eben keine politische Floskel, sondern immer noch unser Geburtsrecht. G’day Mate!

Rückblick Januar 2022: Irgendwas war da. Irgendein Rappel, ein Grund, eine längere Pause anzukündigen. Ich will ehrlich sein: ich könnte auch noch ein weiteres Jahr dranhängen, es würde für mich keinen großen Unterschied machen. Dieses Format, sofern es denn überhaupt eines ist, hat sich abgerieben in den knapp acht Jahren seit seiner Gründung. Dennoch werde ich mir diese kleine Spielwiese wohl doch noch etwas länger erhalten. Meine wenigen treuen Leser dürfen nun aufatmen und endlich die schwere Last der Trauer, die sie ganz sicher in den letzten zwölf Monaten mit sich herumschleppten, befreit wieder abwerfen. Es geht also weiter, wenn auch noch sporadischer und unregelmäßiger als bisher. Zuvor habe ich hier noch ein wenig durchgewischt, vieles gelöscht und einiges nachträglich redigiert, das stilistisch nicht mehr richtig passte oder einfach nur auf tote Links verwies.

Ach, und Sie haben es sicher schon bemerkt: auf der Suche nach anderen Plattformen bin ich inzwischen auch beim Medienimperium TWASBO von Oliver Driesen eingestiegen. Die Zusammenarbeit und gelegentliche Reibung mit dem Kollegen aus Hamburg tut mir und meinen Texten ganz gut, denke ich. Es geht also auch dort im Jahr 2023 weiter, auf dass das Internet endgültig vor Hass und Hetze zerbersten möge! Man liest sich.

I’ve seen the future, brother, it is murder

So, meine Lieben, es ist soweit: ich mache den Laden dicht. Zumindest für die nächsten zwölf Monate. In genau einem Jahr, am 7. Januar 2023, werde ich noch einmal hier vorbeischauen und dann auch entscheiden, ob ich die Radikale Heiterkeit weiterführen werde. Was wird sich bis dahin geändert haben, da draußen, in der Welt, an der „Lage“? Wird da wohlmöglich etwas implodieren – mal abgesehen von den Nervensystemen jener, die immer noch glauben, mir sinnlose Vorschriften machen zu können? Wird der fünfhundertste Coronny-Sprößling nach dem zweiundvierzigsten Booster im Hirn von Karl Lauterbach zu einem neuartigen Turbohusten mutieren und die Menschheit endgültig ausradieren? Wird das noch interessieren? Wird dann überhaupt noch jemand einen Unterschied bemerken? Meine persönliche Wahrsagerin Ludmilla Kannstemalwiedersehnowa riet mir zum Anfang des Jahres, mich warm anzuziehen. Kann aber auch am Wetter liegen.

Bussi!

Sent from my iBunker


Give me crack and anal sex
Take the only tree that’s left
And stuff it up the hole in your culture
Give me back the Berlin wall
Give me Stalin and St. Paul
I’ve seen the future, brother, it is murder

Leonard Cohen, The Future

Allesandersplatz

Ich laufe die Karl-Marx-Allee hinauf, die letzte Strecke zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz. Ich hatte es schon erwähnt: ich bin in dieser Gegend aufgewachsen, in diesem weitläufigen potemkinschen Dorf, nicht nur hier, aber auch. Mir gehört das hier also praktisch alles. Das Kino International zum Beispiel: dort habe ich als Jugendlicher zum ersten Mal Mondsüchtig gesehen, bis heute einer meiner Lieblingsfilme. Im hinteren Teil des Gebäudes, in der ehemaligen Bertolt-Brecht-Bibliothek, trug ich mich als 10-Jähriger in die Wartelisten für Der Zauberer der Smaragdenstadt ein und später als 30-Jähriger habe ich in den selben, zum Nachtclub umfunktionierten Räumen getanzt. Gefeiert habe ich auch gegenüber im Café Moskau. Retro-Gedanken vor Retro-Palästen. Dann kommen die alten Funktionshochhäuser: Haus des Lehrers, Haus des Reisens. In letzteres zog irgendwann der Weekend Club ein (noch mehr Erinnerungen an durchtanzte Nächte), gibt es den eigentlich noch? Äußerlich hat sich hier nicht viel verändert. Nur das Haus der Statistik ist komplett entkernt, auf das Dach haben sie jetzt den Namen „Allesandersplatz“ montiert. Ein spinnertes Kunstprojekt, gefördert vom Senat, es geht wohl um sozialistische Stadtplanung. Passt. Auf dem Alex selbst lauert die übliche Hölle, inzwischen wieder ergänzt um einen Weihnachtsmarkt. Vor einigen Jahren wurde damit begonnen, die Weihnachtsmärkte vor terroristischen Anschlägen zu schützen. Zuerst mit Betonpollern, die sollten gegen tunesische LKW-Fahrer helfen. In diesem Jahr kamen noch Schutzzäune hinzu. Die sollen nun gegen Menschen helfen, die nicht bereit sind, auf Zuruf einen QR-Code hochzuhalten, um die vorgeschriebene Anzahl ihrer Oberarm-Einstiche nachzuweisen. Glühweinsaufen in Käfighaltung.

Die mit Abstand beste Nachricht des ausgehenden Jahres war für mich die, dass William Shatner im stolzen Alter von 90 Jahren endlich ins Weltall fliegen durfte. Gut, es waren vielleicht nur fünf Zentimeter über der Erdatmosphäre, aber immerhin: die Richtung stimmte und ein Kreis hat sich geschlossen, nicht nur für Captain Kirk. Der Gedanke an eine private Weltraumreise scheint mir derzeit wieder recht verlockend. Viele reden gerade vom Auswandern, aber einfach nur das Land oder den Kontinent zu wechseln, wird uns auf Dauer wohl auch nicht vor der freidrehenden Endzeitpanik unserer Mitmenschen schützen. Und ein Krieg ist immer gleich so anstrengend. Nein, wenn schon Eskapismus, dann richtig: Space is the place!

Schwere Zeiten (auf Wiedervorlage)

Liebe Lesende, werte Darbende, folgendes Geständnis wird Sie vielleicht nicht besonders überraschen: Ich habe noch nie eine Folge von Game Of Thrones gesehen. Ein Zitat daraus ist mir trotzdem geläufig: „Winter is coming!“ Traditionell gilt ja der November als die härteste Nuss im Kalender (trübes Wetter, hustende Menschen, erhöhte Selbstmordraten), aber auch der Dezember hat neben all dem Advents- und Weihnachtskitsch reichlich düstere Gedanken zu bieten. Die Populärkultur liefert dazu einige Beispiele. Was will ich Ihnen damit sagen? Stellen Sie sich bitte auf schwere, ja möglicherweise sehr schwere Zeiten ein. Auf einen schweren November, einen harten Dezember und auf bleierne Ostern! Von dem darauffolgenden mörderischen Sommer ganz zu schweigen. Natürlich nur, sofern Sie von den zuständigen öffentlichen Orakeln nicht längst auf Dauerschwere eingeschworen worden sind. Und sofern Sie nicht Michelle Hunziker heißen, denn dann haben Sie das Schwerste ja schon hinter sich. Inspiriert wurde ich zu dieser eindrücklichen Warnung durch Schwester Spahn, Mutti Merkel und den Kollegen Driesen. Ehre, wem Ehre gebührt.

Straße der Besten

You only get one shot, do not miss your chance to blow
This opportunity comes once in a lifetime

(Eminem, Lose yourself)


Kandidaten gab es zahlreiche, gewinnen können nur die Besten. Die Bronzemedaille für herausragende Leistungen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit geht in diesem Jahr an einen Hamburger Innensenator, der unfreundliche Twitter-Kommentare gerne mit Polizei-Einsätzen beantwortet und den deshalb alle nur noch Pimmel-Andy nennen. Streisand-Effekt im Endstadium. Silber geht an einen ehemaligen BRAVO-Posterboy, der in einer Leipziger Hotel-Lobby fünf Minuten zu lange warten musste, daraufhin öffentlich in sein iPhone heulte und aus dem Stand einen Antisemitismus-Skandal produzierte. Deutscher Jussie Smollett. Die unangefochtene Spitzenposition aber gehört jener amerikanischen Sportreporterin, die in einem Moment kreativer Erleuchtung „Fuck Joe Biden!“ zu „Let’s go Brandon!“ umdichtete und damit das goldene Meme 2021 schuf. Bitte erheben Sie sich jetzt zum Applaus!

Smalltalk für den Sektempfang danach: Wussten Sie, dass Andy Grote, Olaf Scholz und Donald Trump am selben Tag Geburtstag haben?

Merrily we roll along

Guten Abend, meine Damen und Herr*innen, ich begrüße Sie zur Idiotenschau. Das wichtigste zuerst: Meike und Sascha haben sich getrennt. Berlins digitalstes Ehepaar ist nicht mehr, schon seit letztem Jahr. Klingt eher unaktuell, ist es aber nicht. Denn Meike macht keine halben Sachen und hat schon kurz nach der Trennung ein Buch über den Anfang und das Ende der männlichen Zivilisation veröffentlicht, mit dem sie noch immer fleißig Klinken putzt. Das Private ist politisch, natürlich, erst recht bei Mighty Meike und erst recht auf Twitter, und daher wird ihr Beziehungsmüll auch weiterhin zu gesellschaftlicher Relevanz hochgejazzt. Sascha Lobo dagegen ist offenbar schon wieder neu verheiratet, mit einer ähnlich sendungsbewussten Trulla, nur eben einem jüngeren Modell. Soll vorkommen. Jeder nur eine Tüte Popcorn bitte. Von den Promi-News zur Politik: Die Taliban weigern sich, die Frauenquote umzusetzen, deshalb werden ihnen jetzt die Hartz-IV-Bezüge gekürzt. So geht Außenpolitik mit harter Hand. Und für den plötzlichen Popularitätsschub von Olaf Scholz gibt es eine ganz einfache Erklärung: Bitte klicken Sie hier. Die Fähigkeit, im richtigen Augenblick ein süßes Hundebaby in die Kameras zu halten, unterscheidet den Polit-Profi eben noch immer von den Amateuren aus der zweiten Reihe. Apropos Wahlkampf: rennen die jungen Leute (wie von einschlägigen ÖRR-Aktivisten immer wieder hartnäckig verbreitet) einig und geschlossen den apokalyptischen Angstneurosen einer schwedischen Autistin hinterher, so gebührt ihnen unser aller tränenreicher Dank. Stellt sich allerdings heraus, dass sie in Wirklichkeit vielleicht doch lieber die FDP wählen, so handelt es sich dabei um eine von finstereren Mächten ferngesteuerte unverantwortliche Rasselbande, die schleunigst umerzogen gehört. Deutschen demokratischen Dank für Ihre Gebühren.

Düstere Gedanken, ohne erkennbaren Zusammenhang: Neulich schaute ich mir ein altes Interview mit David Foster Wallace an, bei dem er, wie so oft, ein Bandana trug, also diesen seltsamen, einst modischen Kopfverband. Es war quasi sein Markenzeichen. Damit sah er immer ein wenig aus wie ein Mitglied der Suicidal Tendencies – was leider sehr ironisch ist, da er bekanntermaßen Selbstmord beging. David Foster Wallace litt seit seiner Jugend an schweren Depressionen und nahm wohl auch entsprechend lange Medikamente dagegen ein. Irgendwann hielt er es trotzdem nicht mehr aus. Im Alter von 46 Jahren erhängte er sich an einem Balken seines Hauses. Ein Schriftsteller, der sich erhängt, wird natürlich umgehend zur Kultfigur, vor allem wenn er ein solches Buch hinterlässt. Infinite Jest bzw. Unendlicher Spass – hat das überhaupt jemand gelesen? Ich jedenfalls nicht. Stattdessen schaue ich mir Interviews mit dem Autoren an, das ist schon anstrengend genug. Infinite Jest schien mir schon immer eines jener Werke zu sein, durch das Kritiker sich pflichtbewusst durchwühlen und das sich Bildungs-Poser gerne ins Regal stellen – das aber niemand wirklich vollständig erfasst, geschweige denn verstanden hat. So wie frühere Generationen den Ulysses. Ich mag mich irren, also noch einmal die Frage: Wer hat’s gelesen? Ich bitte um Handzeichen.


An dieser Stelle folgen wieder einige Glotz-Empfehlungen – ein paar ausgewählte Dokumentarfilme, die ich (wo sonst) auf Netflix entdeckt habe. Trailer verlinke ich diesmal nicht, Googeln’se das Zeug doch selbst. Bei Interesse.

Bob Ross: Happy Accidents, Betrayal & Greed

Was ich hier gelernt habe: Als Bob Ross mit seinen putzigen Do-it-yourself-Videos auch hierzulande bekannt wurde (ich glaube, das war in den späten 90ern), war der Mann selbst längst mausetot und sein Erbe wurde von einer raffgierigen ehemaligen Geschäftspartnerin vermarktet. Diese hatte sich noch kurz vor dessen Tod und gegen seinen ausdrücklichen Willen den Namen Bob Ross vertraglich unter der Nagel gerissen und verdient mit Bob Ross Inc. bis heute Millionen. Sein eigener Sohn, den Ross ursprünglich als Nachfolger vorgesehen hatte, klagte dagegen, ging bisher aber leer aus. Was ich außerdem gelernt habe: Erfinder der kitschigen Express-Landschaftsmalerei war eigentlich der in Ostpreußen geborene Wilhelm Alexander, Bob Ross verhalf ihr allerdings aufgrund seiner einschmeichelnden TV-Präsenz zum weltweiten Durchbruch. Was ich nicht gelernt habe: Ein schneebedecktes Gebirge in nur 20 Minuten zu malen.

John Was Trying to Contact Aliens

Ein besonderes Porträt, ebenso kurz wie anrührend. Wir lernen einen echten Außenseiter kennen, einen Mann namens John Shepherd, der zurückgezogen im Haus seiner Großeltern lebt und dort im Laufe der letzten 30 Jahre eine monströse Anlage zusammengebastelt hat, mit der er unermüdlich Außerirdische zu kontaktieren versucht. Da der sensible und sympathische Kauz außerdem noch über eine umfangreiche eklektische Musiksammlung verfügt, beschallt er das Weltall nicht einfach mit kryptischen Signalen, sondern abwechselnd mit Jazz, deutschem Progrock und Reggae aus den 70ern. Irgendwann lernt John dann allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz einen Gleichgesinnten kennen, einen Freund und Lebenspartner. Und da sitzen sie dann beide, bärtig, langhaarig und glücklich, mitten in der amerikanischen Provinz. Zwei Aliens, die sich gefunden haben. Sehr schön.

Best Worst Thing That Ever Could Have Happened

„Dein Leben musst du vorwärts leben, verstehen wirst du es rückwärts“. Selten passte dieser Kalenderspruch besser als auf die Geschichte, die hier erzählt wird, und das gleich im doppelten Sinn. Es ist die Geschichte eines legendären Flops. 40 Jahre ist es mittlerweile her, da landete Stephen Sondheim, der Großmeister des anspruchsvollen Musiktheaters, zwischen zwei fulminanten Erfolgen – Sweeney Todd (1979) und Sunday in the Park with George (1984) – auch mal einen richtigen Misserfolg. Sein Titel: Merrily We Roll Along, ein Musical über die Träume junger Menschen (basierend auf einem gleichnamigen Theaterstück aus den 30er Jahren), und das, was ca. 25 Jahre später aus diesen Träumen geworden ist. Auf der Bühne wird ihre Geschichte rückwärts erzählt, das heißt die Protagonisten sind am Anfang des Stückes um die 40, verbittert und zynisch, und am Ende wieder so jung und hoffnungsvoll wie ihre Darsteller. Denn, und das sollte wohl der Clou sein, die Besetzung von Merrily We Roll Along bestand ausschließlich aus noch unbekannten Nachwuchsdarstellern, einige davon noch im Teenager-Alter. Eine charmante Idee, aber irgendetwas daran hat damals nicht funktioniert. Nach einer Serie chaotischer Voraufführungen, spontaner Umbesetzungen sowie fast durchgehend vernichtenden Kritiken wurde das Stück vorzeitig abgesetzt. Was sich die jungen Darsteller als Start einer glänzenden Broadway-Karriere erhofften, zerplatzte so innerhalb weniger Wochen im Nichts. Einer von ihnen war übrigens Jason Alexander, der dann zehn Jahre später als George Costanza in Seinfeld berühmt wurde. Er und einige andere der nach dieser frühen Enttäuschung sehr unterschiedlich verlaufenen Biographien finden am Ende zu einer Art Broadway-Klassentreffen wieder auf der Bühne zusammen. Sie stimmen die alten Lieder wieder an und liegen sich heulend in den Armen: „Growing up, understanding that growing never ends“ … Ein faszinierendes Beispiel für Life imitating art. Für Sondheim-Nerds natürlich besonders lohnend, mit jeder Menge Originalaufnahmen, Interviews und Proben von 1981.

Jim & Andy: The Great Beyond

Dass Jim Carrey nicht alle Tassen im Schrank hat, ist bekannt. Nie zuvor, und wahrscheinlich auch nie wieder danach, wurde dies aber deutlicher als während der Dreharbeiten zu Man on the Moon, in dem er Andy Kaufman spielte. Wobei er ihn eben nicht spielte, Jim Carrey war Andy Kaufman. Und er hat diesen, jegliches Method Acting überschreitenden Wahnsinn, mit dem er damals sämtliche Kollegen und selbst Regisseur Miloš Forman die letzten Nerven raubte, dokumentarisch festhalten lassen. Die Produzenten von Man on the Moon hielten die Aufnahmen jahrelang unter Verschluss, weil sie einen Image-Schaden sowohl für den Film als auch für dessen Hauptdarsteller befürchteten. Nun aber kann man sich diese herrliche Shit Show in all ihrer Pracht anschauen. Es gibt hier allerdings doch weitaus mehr zu sehen als den vermeintlich außer Kontrolle geratenen Ego Trip eines Schauspielers. Indem er derart konsequent in seiner Rolle aufging, ließ Carrey sein großes Vorbild Andy Kaufman tatsächlich wiederauferstehen – und zwar so realistisch, dass selbst Kaufmans Schwester irgendwann überzeugt war, mit dem echten Andy zu reden. Irre. Anarchisch. Großartig. Unvergleichlich. Und am Ende doch noch ein Link.

Ens Käufens und ens Einkaufspritz (Freiheit, Bratwurst, Orgasmus!)

In meinem Traum jagt mich der Chefredakteur des Tagesspiegel mit einer riesigen Injektionsnadel durch das IKEA-Bällebad. „Ich schieß dir den Booster in deine Kniescheiben, du Sau!“ schreit er mit der Stimme von Sophie Rois (ich hatte mir vorm Einschlafen noch dieses alte Schlingensief-Hörspiel reingezogen), während die Antifa-Jugend Lichtenberg ihn mit lauten „Spritze rein! Spritze rein!“-Sprechchören anfeuert. „Jedens Käufens muss ens Einkaufskorbsens!“ ruft mir der Filialleiter hinterher, der aussieht wie Lann Hornscheidt. Ich flüchte über die Küchenabteilung auf den Parkplatz. Dort wird gerade der Millionste Impfling im Drive-In gefeiert, er erhält ein goldene Bratwurst – Jubel und donnernder Applaus, die Nationalhymne erklingt. Alle sind vor Ort: ARD, ZDF, RBB, RTL, CNN, Al Jazeera, Rezo, Merkel, Böhmermann, Barbara Schöneberger und der Kinderchor der deutschen Bischofskonferenz. „Jesus hätt‘ sich impfen lassen“ stimmen sie ihr fröhliches Lied an, bald rufen alle nur noch „Jesus! Jesus! Jesus!“ David Hasselhoff befragt die Leute in der Autoschlange. „Es ist wie damals nach der Maueröffnung“, erzählt Yvonne (54) mit zitternder Stimme, „Wir sind extra aus Strausberg angereist, mein Mann, die Kinder und ich, seit heute morgen um sechs sind wir unterwegs!“ Hasselhoff dreht sich zur Kamera: „Da hören Sie es: Eine Schlange in die Freiheit! Und am Ende wartet die Bratwurst als Belohnung, so wie damals die Banane! Are you looking for Freedom? Was für ein historischer Moment! Das ist der Wahnsinn! Die Menschen hier sind überglücklich und dankbar, Emotionen pur, das müssen Sie gesehen haben! Wir schalten jetzt zu meiner Kollegin Dunja Hayali, die gerade live auf TikTok ihre Blutgefäße streamt. Dunja, can you here me? Dunja?! Dunjaaa!!!“ „Jaaa, Danke, David! Es ist ein so überwältigendes Gefühl, den Impfstoff zu spüren! Mit Worten kaum zu beschreiben … Happy! Relieved! Released! So lange mussten wir warten, jetzt endlich ist es soweit! Und ich glaube, ich kann wohl für alle hier sprechen, wenn ich sage: Ich freu mich auf den nächsten Schuss!“ Die Menge ist nun vollkommen außer Rand und Band, Menschen verlassen spontan ihre Autos, fallen sich solidarisch in die Arme, überall Tränen der Freude, fliegende Bratwürste, spontane Orgasmen. „Wie damals!“, ruft Yvonne, „wie damals!“ Dann sind plötzlich die Würste alle, IKEA geht in Flammen auf und ich wache auf.

Deutschland im August 2021. Tugässa ägäinst Korrona. Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon, Zeta, Eta, Theta, Greta, Jota, Kappa, Lambda, Lorem-ipsum, Gummizelle … Fortsetzung folgt. Ich tauche erst einmal wieder ab. Macht’s gut, ihr alten Cracknutten! Bis zum Herbst.

Domo Arigato, Mr. Roboto

Science Fiction des Monats: die Bundeswehr startet ihr eigenes Weltraumkommando. Hurra, endlich wird den irren Milliardären aus den USA mal gezeigt, wo der Hammer hängt! Weltraumkommandeur*in Annegret Kramp-Karrenbauer hat zu diesem Zweck auch schon ein Schild enthüllt, in spätestens 50 Jahren sind dann die ersten deutschen Space-Panzer unterwegs. Auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz geht es voran: Bereits im nächsten Jahr soll der Bundes-Android Lauterbach durch ein brandneues, störungsfreieres Update ersetzt werden. Karl 22 wird noch mehr Kompetenzen haben als sein Vorgängermodell und die Bürger schnell, unbürokratisch und ungefragt mit Expertenwissen zu den Themen Heuschnupfen, Schlammcatchen, Gender, Glutenfreie Ernährung, Klimawandel, transhumanistische Genetik und Herrenmode versorgen. Barrierefrei und in einfacher Sprache. *bleep-bleep*

Glotz-Content des Monats: Mr. Robot (auf Amazon Prime). Wieder so eine Serie, die erst mit einigen Jahren Verspätung bei mir angekommen ist. Ein zwiespältiges Erlebnis war das. Die ersten beiden Staffeln sind wirklich überragend. Großartige Atmosphäre, originelle Erzählung, toller Soundtrack (der Original Score stammt von Mac Quayle, der u. a. auch die Musik zu The Assassination of Gianni Versace beisteuerte). Dabei sind die Themen nicht wirklich neu: Das gespaltene Ich, die Suche nach der eigenen Identität in einer dystopischen Gesellschaft, Überwachung, Paranoia, Revolution, alles ist drin … aber es passt. Bis der Geschichte irgendwann die Luft ausgeht. Denn mit der dritten Staffel stürzt sie leider mächtig ab, wirkt zerfasert und nur noch planlos. Sehr schade. Mir kam es so vor, als wäre die Hacker-Serie irgendwann selbst gehackt worden – von ein paar überforderten Regie-Azubis, die mit den Figuren nichts mehr anzufangen wussten. Die Hauptfigur hat mich allerdings schon vorher genervt. Die Sache mit seiner dissoziativen Persönlichkeitsstörung, anfangs noch der Motor der ganzen Story, erschien mir irgendwann nur noch als ein überstrapazierter Running Gag. Der Knabe entwickelt sich überhaupt nicht weiter, er scheint im Gegenteil mit fortschreitender Handlung immer dümmer zu werden. Fahrig und dauernuschelnd torkelt er durch eine Welt, die er zwar nicht versteht, aber permanent zu „retten“ versucht. Wesentlich überzeugender sind hier die zahlreichen charismatischen Nebenfiguren, deren Geschichten aber entweder gar nicht oder leider nur sehr unbefriedigend zu Ende erzählt werden. Stattdessen gibt es jede Menge unsinnige Gimmicks, Seitenhiebe auf Trump und die blutig gefolterte Tochter von Meryl Streep zu bewundern. Das Finale verspricht dann ganz kurz doch noch eine clevere Auflösung, ersäuft am Ende aber in larmoyantem Kitsch. Geh ins Licht, Mr. Robot, geh ins Licht!

Schließlich sind da noch die vielen offensichtlichen Referenzen: The Matrix, Fight Club, 12 Monkeys … sowie eigentlich jeder Hackerfilm, den ich bisher gesehen habe. Und es gibt einige Szenen, die sind so eindeutig an David Lynch angelehnt, dass es fast schon eine Frechheit ist. Bei Lynch ist Surrealismus ja Programm, hier wird er dagegen wie eine alberne Garnitur dazwischen gestreut. Auf Wikipedia ist zu lesen, dass der Regisseur Sam Esmail Mr. Robot ursprünglich als Film konzipiert hatte. Wäre er mal bei diesem Konzept geblieben. Das ist Ding eindeutig zu lang und ihm am Ende offenbar über den Kopf gewachsen. Vielleicht ist das alles aber auch nur mein ganz persönliches Problem. Ich habe vermutlich einfach schon zu viel gesehen. Die allwissende bloggende Müllhalde muss ihre Festplatte wohl einfach mal wieder neu formatieren, oder am besten gleich ins Feuer werfen, so wie es die Hacker in Mr. Robot tun. Und die ganze Film- und Serienindustrie gleich hinterher. Burn, Hollywood, burn!


Abbildung: Screenshot aus dem besseren Teil von Mr. Robot