2016 versuchte Donald Trump die afroamerikanischen Wähler mit einer simplen Frage auf seine Seite zu locken: „What do you have to lose?“ Ja, was hatten sie eigentlich zu verlieren? Vier Jahre später beantwortete Joe Biden diese Frage für sie: ihre Hautfarbe bzw. ihre soziale Identität. Denn wer nicht für ihn, sondern für den bösen Donald stimmt, der ist eben nicht wirklich schwarz. „You ain’t black“, so einfach ist das. Die Demokraten sind sehr stolz darauf, dass inzwischen jeder sein Geschlecht frei wählen darf, aber ein Schwarzer, der die Republikaner wählt? Das geht nun wirklich zu weit. Daher wurde wohl auch das Narrativ des allgegenwärtigen systemischen Rassismus im Black-Lives-Matter-Superwahlkampf 2020 noch mal besonders derbe durchgepeitscht. Wenn man den Statistiken glauben darf, hatte Trump am Ende dann trotzdem deutlich mehr Stimmen von Schwarzen, Latinos und Homosexuellen erhalten als noch 2016. So eine verdammte Rasselbande – alle nicht mehr Black, Latinx oder LGBTQXYZ_* … !

Als Kanye West vor einigen Jahren Donald Trump im Weißen Haus besuchte, mit MAGA-Basecap auf dem Kopf und einer Armee aus Pressefotografen im Gefolge, wurde dies vor allem als Zeichen seiner fortschreitenden geistigen Verwirrung gedeutet. Kanye, der Übergeschnappte, kennt man doch. Eine andere Erklärung schien ausgeschlossen. Als seine Frau Kim wenig später ebenfalls bei Trump zu Gast war, gab es schon deutlich weniger Rummel. Dabei wird doch sonst gerne jeder Atemzug der Kardashian-Bande zum medialen Großereignis erklärt. Diesmal nicht, denn Kim K. setzte sich zu dieser Zeit für eine Reform des Strafrechts ein und hatte Trump tatsächlich dazu gebracht, mehrere Frauen zu begnadigen, die wegen geringer Drogendelikte zu teilweise lebenslangen Haftstrafen verurteilt waren. Also genau solche Fälle, wie sie Kamala Harris in ihrer Funktion als Haftrichterin einst gerne mal hinter Gittern brachte. Lustig, oder?
Für wen Trump nun die bessere oder schlechtere Alternative war oder noch immer ist, mag ich nicht zu beurteilen. Aber es wäre doch wirklich nett, wenn man diese Entscheidung den Wählern, egal welcher Herkunft, einfach mal selbst überlassen würde, ohne immer gleich mit dem Weltuntergang, psychiatrischen Gutachten oder dem Entzug des Minderheiten-Mitgliedsausweises zu drohen.
Zu dem ganzen Gezeter um Rasse und Ideologie sowie den immer bizarreren Auswüchsen von Identitätspolitik und postmodernem Antirassismus habe ich in den letzten Tagen einige interessante Texte gelesen. Der Kollege Driesen macht sich zum Beispiel anlässlich des heroischen Bekenntnisses der New York Times zu einem Großbuchstaben seine ganz eigenen Gedanken: „Identitär mit großem B.“ Die fixe Idee, durch Typografie und Rechtschreibung neue, gar gerechtere Realitäten herbeizuzaubern (bereits bestens bekannt aus der Gender-Ecke) wird also munter weitergesponnen.
Schon länger, sehr ausführlich und kritisch befasst sich Sebastian Wessels auf seinem Blog homo duplex mit dem Thema Antirassismus. Zu empfehlen ist hier vor allem der Beitrag „Du darfst nur nicht mitspielen“, ein Auszug aus seinem Buch „Im Schatten guter Absichten“. Ich weiß nicht, wann genau das angefangen hat, dass eben jene ehemals guten Absichten – gleiche Rechte für Alle, unabhängig von Hautfarbe, Status, sexueller Orientierung etc. – zu einem derart freiheitsfeindlichen Identitäts-Fetischismus umgekrempelt wurden. Irgendwann wurde die Sache jedenfalls von einer neuen Generation stramm durchideologisierter Aktivisten gekapert, die Menschen nur noch als wandelnde Stempel und Sklaven ihrer Herkunft wahrnehmen und die tatsächlich glauben, nur weil sie sich ein Anti- vor den Namen kleben, moralisch unangreifbar zu sein (siehe auch Antifa), die wohl billigste Masche der Welt.
Während der rhetorisch eher ungelenke Joe Biden seinen abtrünnigen schwarzen Mitbürgern noch schlicht „You ain’t black“ bescheinigte, hat der akademische Teil des neuen Antirassismus längst neue dufte Begriffe wie Multiracial whiteness oder politically black erfunden, womit wir dann endgültig bei der Loslösung von politischem Neusprech und Hautfarbe angelangt wären:
In a (since deleted) 2020 tweet, Nikole Hannah-Jones, curator of the “1619 Project” for the New York Times, declared that there is a difference between being black and being politically black. She failed to provide an adequate definition for this latter term, but the distinction appears to permit blacks to be expelled from the Community of the Good if they do not meet Hannah-Jones’s ideological requirements for membership of their own racial group.
(Erec Smith, „Towards Practical Empowerment“)
Sie auch: #Mewho?
Ja, Bidens „you ain’t black“ damals und der routinierte Bericht der New York Times darüber: eine Sternstunde der Wahrheit in Politik und Journalismus. Nicht ganz wie im Lehrbuch, aber doch. Wessels‘ Buch klingt wirklich interessant.
Inwiefern war der Bericht der New York Times zu dem Thema eine Sternstunde der Wahrheit? Ich kann dort leider keine Artikel mehr lesen, ohne mich zu registrieren (was ich nicht vorhabe) …
Es war übrigens nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass sich Biden derart herablassend in die Richtung geäußert hat. Da ist ein sehr schlichtes Muster zu erkennen, das schwarze Wähler nur als halbgebildete geknechtete Daueropfer akzeptiert, denen zur Rettung gar keine andere Wahl bleibt, als eben die Demokraten zu wählen. Das ist eine Form von Rassismus, mit der sich der neue „Antirassismus“ ja auch mal befassen könnte.
Nun, die Times tat das, was man als wokes Blatt eben tun muss: den sofortigen Kniefall des Kandidaten angesichts des Shitstorms als Anerkenntnis menschlich verzeihlicher Schwäche abhaken und dann die Aufmerksamkeit auf Trumps Rassismus lenken. Malerisches Detail am Rande: Bidens Bemerkung fiel in der Radioshow eines schwarzen Moderators namens „Charlamagne Tha God“.
Ob er sich in dem Zusammenhang auch gleich für Sprüche wie „Poor kids are just as bright as white kids“ entschuldigt hat? Mit dem Framing von Onkel Joe’s verbalen Entgleisungen wird die NYT in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch gut zu tun haben … 😉