Fröhlich sein und singen

The first mistake of art is to assume that it’s serious.
(Lester Bangs)

Zum Jahreswechsel 1981/82 stand Nina Hagen in einem New Yorker Tonstudio und nahm ihr erstes Soloalbum auf, meiner Meinung nach auch ihr bestes. Zumindest ist es ihr originellstes. In den fünf Jahren zuvor waren ihr zuerst die DDR, danach Westberlin, die BRD, Europa und schließlich der gesamte Planet zu eng geworden. Sie hatte ihr erstes UFO in Malibu gesichtet, den Drogen abgeschworen, zu Jesus und zur transzendentalen Meditation gefunden und ihre Tocher Cosma Shiva zur Welt gebracht. Das alles hat sie dann in NunSexMonkRock reingerotzt und mit den Versatzstücken ihrer ganz eigenen kulturellen Folklore durch den Fleischwolf gejagt. Ein chaotischeres und experimentelleres Werk gab es auch in Nina Hagens Karriere danach nicht mehr. Immer wenn mich musikalisch gar nichts mehr berührt, wenn mir alles zu glatt, zu langweilig und vorhersehbar erscheint, höre ich mir NunSexMonkRock an. Spätestens, wenn Nina in Iki Maska anfängt, „Frrröhlich sein und singen, stolz das blaue Halstuch tragen …“ zu trällern (gefolgt von ’O sole mio, Ziggy Stardust und Bertolt Brecht), fange ich an zu grinsen. Dass sie unsere alten Pionierlieder auf der anderen Seite des Ozeans zu kakophonischem Postpunk zerschredderte, während ich in ihrer Ostberliner Heimat als real existierender Pionier noch brav die Original-Versionen in der Schule singen musste, finde ich heute noch drollig. „ … andern Freude bringen, ja das wollen wir!“

Dabei wusste ich damals noch gar nicht, wer Nina Hagen war. Ich hatte gerade erst ABBA überwunden und wurde von meinem älteren Bruder mit dieser wilden Joan Jett bekannt gemacht, für mich eine Offenbarung an musikalischer Rebellion. I love Rock’n’Roll, put another dime in the jukebox, baby! Ich hatte ja keine Ahnung. In der Klasse meines Bruders gab es dann dieses Mädchen, Tochter einer Pankower Akademiker-Familie, die kam jede Woche mit einer anderen Haarfarbe zur Schule und wurde entsprechend oft auch zur Direktion bestellt. Dort wurden mit ihr Gespräche geführt, über ihre Haare, ihre Haltung, ihren Klassenstandpunkt, ihre Zukunft, blablabla … sicher auch über den kleinen Sticker mit dem Gesicht ihrer großen Heldin Nina-Persona-Non-Grata-Hagen, den sie immer an ihrer Jacke trug. Zu der Zeit, Mitte der 80er, hatte Nina gerade Nina Hagen in Ekstasy veröffentlicht und war bei David Letterman zu Gast. Auch drollig: Lettermans langjähriger Band Leader Paul Shaffer war einer der Studiomusiker auf NunSexMonkRock. In New York wurde die Welt eben auch irgendwann sehr klein. Aber es gab ja noch Kalifornien, Rio, Ibiza und das Weltall.

Da ich gerade bei obskuren Meisterwerken der Musikgeschichte bin, hinterlasse ich hier noch einige unsortierte Notizen aus den Archiven:

Düster und von Heroin geprägt waren bekanntlich die letzten zwanzig Jahre im Leben der Sängerin Nico. 1974 veröffentlichte sie ihr Album The End, das ihre damalige Plattenfirma mit dem Satz bewarb „Why commit suicide if you can buy this record?“

Ein Jahr später erschien Lou Reed’s Metal Machine Music, das praktisch nur aus Gitarren-Rückkopplungen besteht. Der legendäre Musikjournalist Lester Bangs erklärte es zum „großartigsten Album in der Geschichte des menschlichen Trommelfells“. Bangs behauptete außerdem, das Album Idi Amin vorgespielt zu haben, der daraufhin beschloss, Metal Machine Music zur Nationalhymne von Uganda zu machen – eine Sternstunde des Gonzo-Journalismus.

Vincent Gallos Album When aus dem Jahr 2001 enthält das wahrscheinlich schönste Stück Musik, das jemals Paris Hilton gewidmet wurde. Sehr wahrscheinlich auch das einzige. Es heißt I Wrote This Song for the Girl Paris Hilton. So einfach können Songtitel sein. Das deutsche SPEX-Magagzin veröffentlichte anlässlich dieses Albums eine Titelgeschichte, zu der Vincent Gallo die Redaktion der Legende nach erpresst haben soll. Unter der SPEX-Leserschaft gab es einen ziemlichen Tumult deswegen – wohl auch, weil Gallo sich offen dazu bekannte, die Republikaner zu unterstützen. Vergleiche mit Charles Manson kamen auf (Gallo trug damals gerade Bart), das wahnsinnige Genie usw. … die alte Klischeekiste. Der Journalist, der Gallo interviewt hatte, eröffnete übrigens später ein Schokoladen-Geschäft im Prenzlauer Berg.

Apropos Manson: Wären Sharon Tate und ihre Freunde heute noch am Leben, wenn Charles Manson den Plattenvertrag bekommen hätte, den er sich so sehnlichst wünschte? Das erinnert an die Frage, wie sich die Weltgeschichte entwickelt hätte, wenn Hitler einst an der Wiener Kunstakademie aufgenommen worden wäre. Tatsächlich war die berüchtigte Mordserie im August 1969 als Racheaktion an Terry Melcher (dem Sohn von Doris Day) geplant, der es nach Probeaufnahmen abgelehnt hatte, ein Album mit Manson zu produzieren. Melcher hatte in diesem Sommer sein Haus aber gerade an die schwangere Sharon Tate vermietet. Hätte Dennis Wilson von den Beach Boys nur diese Hippie-Mädels nicht am Straßenrand aufgegabelt, die sich später als Mitglieder der Manson Family (Charlie’s Angels) herausstellten, hätte er Manson wohl auch nicht mit Terry Melcher bekannt gemacht undsoweiterundsofort … hätte, hätte, Schicksalskette … Invisible tears in my eyes, incredible pain in my heart.

Ein interessantes Thema: Menschen, die andere Menschen schicksalhaft in Autos mitnehmen. Wäre der Regisseur Jonathan Demme nicht zur richtigen Zeit in das richtige Taxi gestiegen (wieder mal in den 80ern und wieder in New York City), wäre aus seiner Fahrerin später wohl auch nicht eines der mysteriösesten One Hit Wonder der Popgeschichte geworden. Goodbye Horses von Q Lazzarus wurde seitdem in mehreren von Demmes Filmen verwendet, am bekanntesten im Schweigen der Lämmer. Bis heute ist nicht bekannt, was aus der Sängerin geworden ist. Nach einem kurzen Auftritt in Philadelphia (auch von Jonathan Demme) ist sie der Öffentlichkeit abhanden gekommen. Hier gibt es ein wenig mehr Hintergrund zu der Geschichte.

Die Welt ist voll von obskurer und interessanter Musik. Einen nicht geringen Teil davon haben wir Mike Patton zu verdanken. Obwohl als Sänger von Faith No More zu beachtlichem kommerziellen Erfolg gelangt, bleibt er für mich noch immer eines des unterschätztesten musikalischen Genies der letzten 30 Jahre. Ich empfehle das Album Disco Volante von Mr. Bungle (1995), eines von Pattons zahlreichen Avant Garde Projekten. Das ist besser als jeder LSD-Trip, danach werden auch Sie UFOs sehen.

Wussten Sie, dass der in Thüringen geborene Pianist Fritz Schulz-Reichel unter seinem  Pseudonym Crazy Otto 1955 den ersten Platz der amerikanischen Album-Charts belegte? Oder dass die Stone Temple Pilots ursprünglich Shirley Temple’s Pussy heißen sollten? Und dass es von John Cages 4′33″ – einer „Komposition“, die keine einzigen Ton, sondern nur Stille enthält – Cover-Versionen gibt? Falls nicht, wissen Sie das jetzt.

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