Die kleinen Mädchen aus der Vorstadt tragen heute Nasenringe aus Phosphor
Die Lippen sind blau, die Haare grün, Steichholzetiketten am Ohr …
(Extrabreit, Hurra Hurra die Schule brennt, 1980)
Einbrechende Nachrichten aus der Welt der Mode: Lars Eidinger macht Werbung für Luxus-Taschen im ALDI-Design und irgendwelche Leute finden das geschmacklos. So las ich zumindest. Heutzutage werden ja schon drei mürrische Instagram-Kommentare zum Shitstorm hochgeschrieben. Tatü-Tataa, Tatü-Tataa, die Feuerwehr ist auch bald da … Wahrscheinlich war wieder gar nichts. Außerdem hatten wir das doch alles schon bis zum Abwinken: ALDI-Chic, Proleten-Chic, Obdachlosen-Chic, Heroin-Chic, Radical-Chic, künstlicher Dreck, Christiane-F-Glamour, Straßenstrich, RAF-Vintage-Versace-meets-Guerilla-meets-LIDL-meets-Kalaschnikow, Kotze mit Glitter dran für 10.000 Dollar. Was haben Menschen, die sich über so eine langweilige Armuts-Ästhetik angeblich noch aufregen, eigentlich in den 90ern und frühen 2000ern gemacht? Ach richtig, die waren da noch gar nicht geboren. Das vergesse ich manchmal.
Dabei ging der Trend zum hippen Müll doch schon viel früher los, spätestens mit der alten Tante Punk. Über 40 Jahre ist das nun schon her. Sicherheitsnadeln, Plastiktüten, zerrupfte Lumpen, Opas Wehrmachts-Stiefel, ja sogar Hakenkreuze haben sie im Hause Westwood und McLaren damals getragen. Da würden die dauerempörten Hashtag-Hasis der Generation Z aber mal richtig Schnappatmung bekommen. Irgendwann war dann der Griff in die Altkleidersammlung der heißeste Fashion-Trend. Welcher Teenager mit Hang zur Exzentrik hat sich nicht ein Loch in den Bauch gefreut, wenn er auf Second-Hand-Märkten oder auf der Müllhalde nebenan ein Jacket aus den 50ern oder eine übergroße stinkende Fellmütze aus Stalingrad ergattern konnte! Die Lehrer und die Popper aus der Nachbarklasse rümpften die Nase und man selbst war wenigstens eine Woche lang die coolste Sau auf dem Schulhof. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die großen Luxusmarken das Zeug nachbasteln würden. Alles schon dagewesen, alles durch. Es ist wirklich lächerlich, sich über so etwas noch aufzuregen. Man kann sich nicht mal mehr darüber lustig machen, denn diese zugekoksten Irren aus der Modeindustrie haben längst jeden Witz tausendmal durchgespielt und recycelt. Jeden Trend, jedes Jahrzehnt, jeden hotten Vintage-Mist, jede Unterhose und Zwangsjacke haben sie durch den Fleischwolf gedreht, mit Graffiti besprüht, Diamanten drauf geklebt und über den Laufsteg gejagt. Und jetzt? Jetzt kommt Alessandro Michele, der aktuelle Meister der internationalen Müllhalden, und lässt für Gucci einen Haufen androgyner Roboter um ein riesiges Pendel in Mailand marschieren … Das ist neu, das ist neu, Hurra Hurra die Schule brennt!