Ich habe 160.000 Menschen geseh’n, die sangen so schön …

Im Musikvideo war zuerst eine US-Flagge zu sehen, vielleicht war das der Fehler. Und dann dieser Refrain … Als Bruce Springsteen damals sein wütendes Lied über einen gescheiterten Vietnam-Veteranen veröffentlichte, schuf er damit eher unfreiwillig einen patriotischen Monsterhit, der die eigene Botschaft unter einem unwiderstehlichen Stampf-Rhythmus begrub. Und als die Jungs von Sandow ihr Born in the GDR als sarkastischen Kommentar zum Springsteen-Konzert 1988 in Weißensee rausrotzten, war es wohl auch unvermeidlich, dass die Nummer spätestens nach der Wende bei vielen als alternative Ost-Nationalhymne im Gedächtnis kleben blieb. Schrei den Leuten entgegen, wo sie geboren wurden, egal wie wütend oder wie spöttisch, und sie schreien zurück „Ja, das sind wir!“, auch wenn es gar nicht stimmt. Geboren, geboren, irgendwo sind wir geboren … Dagegen kommt man nicht an, erst recht nicht, wenn man solche Refrains schreibt. Selbst schuld. Am besten man ergibt sich der Masse, gibt ihnen, was sie zum Schreien, zum Stampfen und zum Fäuste recken braucht, legt noch eine Schippe drauf und peitscht sie richtig ein. Ich habe 160.000 Menschen geseh’n, die sangen so schön, so schön … Wann spielen Springsteen und Sandow endlich gemeinsam in Berlin und schreien ihr Publikum auf die alten Tage noch mal so richtig in Grund und Boden? Als Zugabe tanzt dann David Hasselhoff mit Katarina Witt zu Dancing in the Dark.

AR-Penck_Zukunft

Hunderttausend Jahre Mauer weg, yeah – fällt mir dazu überhaupt noch etwas ein? Ja, das noch: Es war ein überraschend kurzer Fußmarsch über die Oberbaumbrücke. Ich wollte damals nur raus, zusammen mit allen anderen, die noch nicht abgehauen waren. Endlich das große unbekannte Disneyland mit eigenen Augen erleben, das eigentlich nur am anderen Ende der Straße lag, am gegenüberliegenden Ufer, und von dem meine Mutter immer meinte, dass das doch alles zusammengehöre und eines Tages auch wieder … Wirklich, Mutter, wirklich? Wie denn und wann denn? Und dann ging plötzlich alles wie von selbst. Zaun auf und einfach rüber auf die andere Seite gelaufen. Goodbye Genosse Oberstleutnant „Wir meinen es doch nur gut mit euch“ vom Ministry of Love, ich schaue jetzt selber mal nach. Ganz herzlichen Dank auch noch für euren schönen „Schutzwall“ und euren Scheiß „Klassenkampf“, war eine lehrreiche Erfahrung, ja wirklich, aber jetzt reicht es auch mal. Der Rest steht hier.


Abbildung: A. R. Penck, „Die Zukunft der Emigranten“, 1983

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