Alte Frise, neue APO (jetzt mit gratis Holocaust-Content)

Sascha Lobo kommt nach einem anstrengenden Tag im Internet nach Hause, nimmt sein Irokesen-Toupet ab und fällt in die stylische Retro-Sitzecke. „Hallo Meike!“, begrüßt er seine Frau, die gerade wieder über ihre Befindlichkeiten twittert. „Du, Sascha“, sagt sie „ich erkenne dich nicht mehr.“ „Echt jetzt? Das ist ja interessant.“ „Ja, total. Ich habe das mal gegoogelt, das ist so ein richtiges Syndrom, also eine anerkannte psychische Störung, wenn man seinen eigenen Partner nicht mehr erkennt.“ Lobo setzt kurz sein Toupet wieder auf. „Jetzt besser?“ Meike schüttelt den Kopf. „Da müssen wir mal was zu bloggen.“ „Hab ich schon.“ „Wieviele Zugriffe?“ „2.500.“ „So wenig? Vielleicht kann ich das ja noch im SPIEGEL verwerten: Entfremdung in Zeiten des Populismus – wie toxischer Online-Hass unsere Beziehungen vergiftet!…“ „Ok, und ich blogge dann einfach darüber, wie ich dich beim bloggen beobachte und dich dabei nicht mehr erkenne.“ „I like that. Aber nicht wieder die Pingbacks deaktivieren! Ich geh jetzt mal meine Keynote für morgen zusammen kopieren. Nacht, Schatz!“

blue

Ich gestehe: Ich fand den Lobo mal gut. „Wir nennen es Arbeit“ hieß dieses Buch, das mir damals ein Ex-Freund schenkte und das Lobos Aufstieg zur medialen Speerspitze der „Digitalen Bohéme“ begleitete. Wie lange ist das nun schon wieder her? Im St. Oberholz wurden plötzlich die Fensterplätze knapp und Irokesen-Sascha wurde als Internet-Experte von einer Talkshow zur nächsten gereicht. Sein Narzissmus und die Selbstvermarktung störten mich dabei nicht. Im Gegenteil, darum ging es doch: um das Ende der Privatheit, um die permanente Sichtbarkeit. Irgendwann ging das aber nach hinten los, der einstige Experte war mit dem Internet restlos überfordert und spielt sich heute in den Sozialen Medien vorwiegend als Blockwart auf – zusammen mit Sixtus, Böhmermann und all den anderen selbsternannten Tugendwächtern der Digitalen Republik Deutschland. Inzwischen ist der rote Iro als Meinungsmacher auch längst von einem blauen abgelöst worden, denn Youtuber sind die neuen Blogger – ach was, sie sind sogar die neue APO! Ja, mindestens. Während Sascha und Meike also langsam zu kopfschüttelnden älteren Eminenzen mutieren (der Blogger-Variante von Helmut und Loki Schmidt) hat sich die Generation Emoji längst hinter neue Experten geschart. Die zeigen denen jetzt mal, was eine Harke bzw. eine optimale Meinung ist, ganz locker, flockig und unabhängig, wie das bei den jungen Leuten halt so ist, easy-peasy, yolo, Dude, klick like and subscribe!


Wo ich gerade so abfällig über Blogger blogge: Vielleicht ist einigen meiner Leser ja noch die Episode aus Ricky Gervais’ „Extras“ bekannt, in der Kate Winslet zynisch kommentierte, die beste Möglichkeit einen Oscar zu gewinnen, bestehe immer noch darin, die Hauptrolle in einem Holocaust-Film zu spielen. Kurz darauf erhielt sie dann tatsächlich ihren Oscar für die Rolle der Hanna Schmitz in „Der Vorleser“. Leben imitiert Satire – das soll ja öfter mal vorkommen. Davon inspiriert wurde offenbar auch die umtriebige Marie Sophie Hingst, die sich für ihren Blog gleich eine ganze Holocaust-Familiengeschichte ausdachte und dafür unlängst noch als „Bloggerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Wer berühmt werden will, darf halt nicht zimperlich sein. Nun ist der ganze Schwindel aufgeflogen. Ironischerweise machte ausgerechnet der SPIEGEL die Geschichte öffentlich, obwohl man dort ja nicht erst seit dem Dichter-Skandal um Relotius dafür bekannt ist, „Haltungsjournalismus“ und „künstlerischer Freiheit“ einen größeren Stellenwert einzuräumen als nüchternen Fakten. Der Zweck heiligt die Mittel, immer wieder.

P.S. Nachdem ich mich nachträglich noch etwas in die Causa Hingst eingelesen habe, inkl. der öffentlichen #ReadOnMyFake-Gruppentherapie, kann ich feststellen, dass die Dame durchaus das Zeug zu einer Sektenführerin hat. Die wusste offenbar genau, welche Knöpfe sie bei den Medien und ihrer emotional gehirngewaschenen Anhängerschaft drücken musste. Vielleicht haben die es nicht besser verdient. Die Tatsache, dass Hingst u.a. der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein paar falsche Opfer untergejubelt hat, lügen sich einige ja bereits als mutiges Literaturprojekt zurecht. Oy vey, my dear! Aber aus der Story lässt sich doch bestimmt noch ein ergreifendes Filmdrama stricken, im Stil von „Can you ever forgive me?“ … Wer ruft Kate Winslet an?

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..