Haut und Knochen

Wahrscheinlich haben Sie es schon gehört bzw. gelesen: Zombie Boy ist tot. Über den Tod eines Zombies zu berichten, gehört zu den Merkwürdigkeiten dieses Sommers. Rick Genest, der junge Mann hinter dem untoten Image, hatte offenbar Gründe, sich derart zutätowieren zu lassen. Eine Krankheit, ein Tumor, ein Schicksal … irgendwas ist ja immer. Tätowierungen sind (zumindest dort, wo sie nicht sowieso schon Teil einer kulturellen Tradition waren) traditionell das Markenzeichen der Outlaws, der wilden Jungs, die den anderen beweisen wollten, was für ein schweres Leben sie hatten.

Heutzutage funktioniert das natürlich nicht mehr so richtig, denn die halbe Bevölkerung ist mittlerweile zugekritzelt. Schön ist das in den seltensten Fällen. Was früher vielleicht noch als Geschmacksverfehlung gnädig in den eigenen vier Wänden verborgen blieb, wird heute stolz auf der Haut getragen. Die eigene Epidermis ist für viele Menschen Leinwand, Tagebuch und öffentliches Familienalbum zugleich. Und was nicht mehr auf die Arschbacken oder zwischen die Schulterblätter passt, das wird dann bei Facebook reingekippt. Hauptsache es wird sichtbar. Zombie Boy hatte es geschafft, sich davon abzuheben, denn er hatte ein überzeugendes ästhetisches Konzept. Indem er die eigene Anatomie konsequent nach außen drehte, karikierte er auch den Exhibitionismus seiner Mitmenschen. Das war gut gemacht und auf diese spezielle Art schön anzusehen. Er war quasi ein wandelndes radioaktiv verstrahltes Gunther-von-Hagens-Testimonial, das selbst auf einer Tattoo-Messe noch auffallen konnte. Aber wie fühlt sich das wohl an, jeden Tag einen Totenkopf im Spiegel zu erblicken? Erinnert einen das an die eigene Sterblichkeit? Verliert man darüber irgendwann den Verstand? Jetzt ist es leider zu spät, ihn zu fragen. Es sei denn, er kehrt tatsächlich noch mal von den Toten zurück.

Seine Bekanntheit verdankte der Zombie Boy vor allem dem Stylisten und Moderedakteur Nicola Formichetti, der seinerseits Berühmtheit dadurch erlangte, Lady GaGa in einen Alien verwandelt zu haben. Formichetti war nicht der Erste, der stark tätowierte Models buchte, aber mit Zombie Boy hatte er wohl den Hauptgewinn gemacht, zumindest für ein bis zwei Saisons. Mehr kann man in der Modebranche nicht erwarten. Sie haben dort schon alles durch: Heroin-Chic, Nazi-Chic, Alien-Chic und nun eben auch Zombie-Chic. In Robert Altmans Film „Prêt-à-Porter“ wurde dieser Hang zu kalkulierten Schock-Effekten einst auf die Schippe genommen, als die Models dort auf einer der Schauen komplett nackt auf den Laufsteg geschickt wurden. Sie würden mittlerweile aber auch Skelette buchen, wenn das möglich wäre. Nicht einfach mehr nur unterernährte Teenager, keine Haut und Knochen, nein, nur noch Knochen. Wie das in etwa aussehen könnte, hat ihnen Zombie Boy zumindest schon mal gezeigt.

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