Oh, I’m so mad I’m getting old
It makes me reckless
(Adele, When we were young)
Nein, es geht hier nicht ums Älter werden, Gott bewahre! Worum geht es dann? Um Theater, ta-dah! Vorhang auf! Gestern wurde in der deutschen Presse feierlich des Attentates auf Rudi Dutschke vor fünfzig Jahren gedacht. Nicht ganz so lange ist es her, dass ich mit „Rocky Dutschke ’68“ mein Schlingensief’sches Erweckungserlebnis in der Berliner Volksbühne hatte. Ein Erweckungserlebnis? Das klingt pathetisch und ist wahrscheinlich maßlos übertrieben, aber auch ich stehe schließlich auf einer Art Bühne und muss darauf achten, dass meine Zuschauer nicht einschlafen. Ich habe immer noch das Programmheft von damals. Die Volksbühne war in den 90er Jahren ein zentraler Teil der Berliner Popkultur und ich war, so oft es ging, mit dabei. Sie haben in diesem Haus praktisch alles angestellt, außer es in die Luft zu sprengen. Ich erinnere mich daran, wie Christoph uns mit seinem Megaphon durch die Zuschauerränge jagte, wie Sophie Rois die Bühne zusammenbrüllte, wie die ehemalige Psychiatrie-Patientin Kerstin ihren erschütternden Monolog hielt zu einer Ballade von Michael Jackson oder wie Bernhard Schütz sich mit der ersten Reihe prügelte, blutige Nasen inklusive. Nie war ich von einer Aufführung so gut unterhalten und gleichzeitig mental durch den Fleischwolf gedreht worden. Vieles mischt sich wahrscheinlich auch mit Erinnerungen an andere Spektakel, an „Rosebud“ oder die „Schlacht um Europa“. Aber das ist egal. Ich muss damit aufhören. Ich wollte doch nie zu einem dieser ergrauten Berufsjugendlichen werden, die einem immer auf die Nerven gehen mit ihren Berichten von der wilden alten Zeit, damals in Woodstock, in New York, London, Westberlin, auf Ibiza oder dem Rosa-Luxemburg-Platz.

Das Ende dieser alten Volksbühne hat mich letztes Jahr ziemlich kalt gelassen. Immerhin hielt diese Ära ganze 25 Jahre an, ein viertel Jahrhundert. Irgendwann ist alles zu Ende dekonstruiert, ausgekotzt und auf den Kopf gestellt. Nicht dass ich jüngeren Generationen solche Erlebnisse nicht gönnen würde. Aber diese waren nun mal leider an sehr spezifische Personen und einen Zeitgeist gebunden, der sich nicht ewig konservieren lässt. Die Party ist vorbei, die alten Helden sind tot oder entzaubert. Was bleibt, ist ein nostalgisches Kasperle-Theater, ein Spuk. Genau das war es, was Schlingensief uns damals mit seiner Dutschke-Performance vermitteln wollte.
„Nie war ich von einer Aufführung so gut unterhalten und gleichzeitig mental durch den Fleischwolf gedreht worden. … Es ist nicht so, dass ich jüngeren Generationen solche Erlebnisse nicht gönnen würde, aber diese waren nun mal leider an sehr spezifische Personen und einen Zeitgeist gebunden, der sich nicht ewig konservieren lässt. Die Party ist vorbei, die alten Helden sind tot oder entmystifiziert.“
Mir ging das ab den frühen 80ern mit La Fura dels Baus und überhaupt im Tempodrom so oder ähnlich (kann sich noch wer an z.B. die Heimatklänge und an ‚umsonst und draußen‘ erinnern?) Das wurde zu Griesbrei, als die Truppe olympia- und operntauglich wurde und das Tempodrom hauptstadtwise umziehen mußte (und ich fühle mich gerade seeehr alt).
Von der La Fura dels Baus Truppe hatte ich gehört (wahrscheinlich etwas später, in den frühen 80ern war ich zu jung und auf der falschen Seite der Mauer), die waren ja mal sehr populär. Mir erschien das aber immer etwas zu zirkusartig, rückblickend als eine Mischung aus Heiner Müller und Rammstein … Verzeihen Sie mir das grobe Urteil. 😉
Ob, Sie sind sowas von aktuell, um nicht zu sagen prophetisch und weise.
Sehr populär wurde La Fura dels Baus erst ein bißchen später – olympia- und operntauglich eben – und die Stilmittel ihrer frühen Stücke wurden reichlich kopiert, wobei sich die Kopisten oft in Krach um des Krachs Willen erschöpften. Ich weiß nicht mehr, wie das Stück hieß, aber die stellten mal Faschismus mit Hilfe von riesigen Pappkartons dar und das war so eindrücklich und heftig, daß ich mich nach den Stücken sehnte, wo noch mit Kettensägen durch die Menge gefahren und mit Pigmenten geworfen wurde. An der Volksbühne fand ich’s immer intellektueller, näher am Sprechtheater und das ist nicht so mein Ding.
Aktuell, prophetisch und weise. Wie recht Sie haben, meine Liebe! Ich bin stets am Puls der Zeit. Weshalb die großen Verlage bei mir noch nicht Schlange stehen, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich geht das ganze Geld für Don Alphonso und seine Lederhosen-Lyrik drauf. Tragisch!
Für mich bestand das perfekte Theater immer aus beidem – Sprachgewalt und Kettensägen – eben so wie die Volksbühne in den 90ern. Ach, wann machen sie den Laden endlich dicht!?