Zustände

Der Alex ist ein Stern aus Asphalt.
Wer damals hier getanzt hat, wer dabei war,
der vergisst ihn nicht so bald. *

Die Balzac-Filiale in der Schönhauser Allee ist die mit Abstand hässlichste Hütte, in der ich seit langem Kaffee getrunken habe. Egal, ich bin hier mit einem alten Schulfreund verabredet. Wir haben einen Fensterplatz und können durch die Scheibe junge Touristen beim Rauchen beobachten. Danach springe ich zurück in die U2. Dort sitzt eine Frau, aus deren Tasche ein riesiger Strauch Grünzeug ragt. Sie trägt Kopfhörer und singt grinsend vor sich hin. Kommt gerade von einem Pfeif-dich-glücklich-Seminar oder vom Yoga, denke ich. Das Grünzeug schleppt sie garantiert schon den ganzen Tag mit sich herum, am Abend wird sie es in den Mixer werfen oder rauchen. Ihr gegenüber telefoniert ein dicker Spanier. Stirnrunzelnd beobachtet er die singende Frau Frohsinn, die ihn angrinst, auf ihren Strauch deutet und ruft „Davon kriegt man grüne Augen!“ „Sorry, I don’t speak german.“ „Wenn ju eat sis, ju get green Eies!“ Der Spanier telefoniert einfach weiter. Alexanderplatz. Raus aus der Bahn und rein ins Gewimmel. Ich erinnere mich, wie wir hier damals nach unserer Schulabschlussfeier nachts im Springbrunnen gebadet haben. Dazu haben wir „I wanna dance with somebody“ von Whitney Houston gesungen, besoffen wie wir nun mal waren. Bis uns die Vopos rausholen wollten. Wir sind dann schnell in ein Schwarztaxi gesprungen (offizielle Taxis bekam bekam man ja nie, nachts schon gar nicht) und haben uns gefühlt wie Bonnie und Clyde auf der Flucht. War meine Kaffee-Verabredung damals nicht auch dabei? Seltsam, wir bereisen die ganze Welt und landen, dreißig Jahre später, doch wieder mit den selben Leuten an den selben Plätzen. Ich sehe mich um. Der Alex ist heute ein Moloch aus mindestens zwölf verschiedenen Architektur-Stilen und drei Millionen Primark-Tüten. Und angeblich auch wieder ein krimineller Hotspot. Deshalb wurde hier kürzlich eine neue Polizeiwache eingeweiht. Denn nachts, wenn das Shopping-Gemetzel vorbei ist, so hört man, übernehmen die Besoffenen. Manche von denen sollen sogar im Springbrunnen baden. Zustände sind das!

*

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Ein Kommentar zu „Zustände

  1. Danke für das Lied von Veronika Fischer.

    Das hier gefällt mir auch:

    Der Alex ist heute ein Moloch aus mindestens zwölf verschiedenen Architektur-Stilen und drei Millionen Primark-Tüten.

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