Gekämmter Donner

Am Neujahrsmorgen habe ich einen neuen Cocktail erfunden. Nur im Traum, aber immerhin. Ich saß in der Bar des St. Regis Hotels in Manhattan und plauderte mit dem Barkeeper, der aussah wie Udo Kier. Er fragte mich, wie es so in der alten Heimat lief. Ich winkte nur müde ab. „Wie immer, weißt du, Gejammer und Gemaule auf Welt-Niveau“, jammerte ich. „Ich weiß, was du meinst“, schienen seine wasserblauen Augen zurückzufunkeln. Wie sich herausstellte, war er tatsächlich Udo Kier. Ich fragte ihn, ob er mit mir auf das neue Jahr anstoßen wolle. Klar, meinte er, aber nur wenn ich die Drinks mixen würde. „Bestens“, jauchzte da die Dame auf dem Hocker neben mir, die aussah wie Patti LaBelle. „Schatzi“, rief sie, „ich nehme auch einen! Aber sieh zu, dass du ihn nicht zu schwach machst!“ Ich tauschte also mit Udo die Plätze. Der Bar-Pianist spielte Gershwin und ich legte mich ordentlich ins Zeug.

Zehn Minuten später stelle ich drei Tumbler mit einem dunkelbraunen Gesöff auf die Theke. Die großen runden Eiswürfel ließen das Zeug verführerisch dampfen. Ich wusste sofort, dass ich etwas Großes geschaffen hatte. „Zum Wohl, meine Freunde! Happy New Year!“ Wir stürzten unsere Drinks in einem Zug hinunter. Udo schüttelte sich kurz und meinte: „Mannomann, großartig!“ Unsere gemeinsame Freundin erhob sich wortlos, ging zum Pianisten hinüber, flüsterte ihm etwas ins Ohr und stimmte sogleich einen spontanen Gospel an. Wie sich herausstellte, war sie tatsächlich Patti LaBelle. Ich mixte uns eine zweite Runde. Eine tolle Nacht war das. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Namen!“, rief Udo, während Patti in den höchsten Tönen jubilierte. „Lass mich überlegen“, sagte ich. Wir kippten die zweite Runde. Einen Namen also. „Fällt euch einer ein?“, rief ich einmal quer durch den Raum. Mir wurde klar, dass ich so etwas nicht alleine entscheiden konnte. Udo schien abwesend, aber glücklich. Wen fragt man um zwei Uhr morgens in Manhattan, wenn man einen neuen Cocktail taufen möchte? Eine Wahrsagerin? Einen Taxifahrer? Ich musste raus aus der Bar. Patti und Udo stimmten gerade gemeinsam „You’ll never walk alone“ an, ich konnte die beiden also ruhig einen Augenblick alleine lassen.

Ich nahm die U-Bahn Richtung Brooklyn – zu jener Station, in der der kleine Ciro Ortiz meistens saß, seltsamerweise auch um diese Uhrzeit. Alle liebten den kleinen Ciro, denn alle brauchten seinen Rat. Vielleicht hatte er ja auch die richtige Antwort für mich. New Yorks Emotional Advise Kid schaute ruhig und besonnen wie immer, als ich an seinem Stand Platz nahm. „Du kennst den Namen bereits“, sagte er nur kurz und natürlich hatte er Recht. Dann fragte er mich, wie es denn so in der alten Heimat lief und mir wurde schwindelig. Ich befand mich plötzlich in der Bibliothek von Babel (der von Jorge Luis Borges). Endlose Gänge, kein oben und kein unten. Als ich schließlich den Ausgang fand, lag das St. Regis vor mir in Schutt und Asche. Ich wachte auf.

CiroOrtiz

Liebe Leser, folgendes ist mir von dem Rezept noch in Erinnerung geblieben: jeweils einen ordentlichen Schwung Bourbon und Fernet-Branca zu etwa gleichen Teilen, dazu einen Schuss Orangenlikör, einen Espresso, eine Prise schwarzer Pfeffer, etwas Kokain (das ich auf Udos Tresen fand) und eine geheime magische Zutat, die mir leider entfallen ist. Den Namen des Cocktails aber weiß ich noch: Gekämmter Donner. Ich wünsche allen ein ruhmreiches und bunt gemischtes Jahr 2018!

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