Schrott (wirrer Monolog über den Frühling)

Das Tauchboot ist verschwunden. In den letzten Wochen hatte es sich am Helgoländer Ufer festgemacht. Menschen habe ich nie darauf gesehen, immer nur dieses leere Boot. Zwischendurch hatte sich ein kleinerer Kollege, ein Munitions-Tauchboot dazu gesellt, ebenfalls ohne Besatzung. Munition? Eines haben die unsichtbaren Taucher jedenfalls geborgen: ein Knäuel ineinander verkeilter verrosteter Fahrräder und Einkaufswagen, markiert wie ein Tatort mit einem rotweißem Absperrband. Wichtige Beweise menschlichen Treibens, die der Fluss nicht behalten durfte. Gestern habe ich eine verwitterte Gestalt gesehen, in einer schmutzigen alten Lederjacke, auf der „Wixen gegen Nazis“ stand. Die Gestalt hat ein Foto von dem Schrotthaufen gemacht, mit einem ebenfalls recht verwitterten Smartphone. Ein hübsches apokalyptisches Szenenbild war das: ein Zombie, der einen Haufen Schrott instagramt. Der Aufstand beginnt als Spaziergang.

Vor dem Hauseingang hat jemand eine Pappkiste mit zwei alten Handtüchern und einer Klobürste abgestellt, davor ein Schild: „Zum Mitnehmen!“. Ja, eine Klobürste. Zum Mitnehmen. Im gleichen Maße wie das Sammeln von Pfandflaschen zum prekären Volkssport geworden ist, häuft sich der auf der Straße abgestellte Plunder derer, die zu faul sind, bis zur nächsten Mülltonne zu laufen. Ein kleines Pappschild davor, „Zum Mitnehmen!“, und fertig ist die Sharing Economy. Teilen! Teilen! Teilen! Mit der alten Klobürste des Nachbarn den Weltuntergang aufhalten! Meistens erbarmt sich ein Hausmeister und entsorgt das Zeug im Restmüll des Hinterhofes. Selbst in dieser zermüllten Stadt herrscht eine gewisse Ordnung. Rostige Fahrradhaufen werden vorschriftsmäßig abgesperrt und der Abfall wird entsorgt. Ja, irgendwann (jetzt kommt’s) werden auch wir entsorgt. Die Natur wartet auf unser Verschwinden, sie sammelt unseren Schrott und unsere Daten. Ich stelle mir vor, wie das Internet uns überleben wird (über einen atomsicheren, sich selbst speisenden Server) und all die instagramten Ansichten zerstörter Landschaften und gebrauchter Klobürsten an die Außerirdischen verkauft. Der Planet ist dann längst umbenannt in „Google Earth“.

Bis dahin lese ich Heiner Müllers Hamletmaschine*, das schönste deutsche Frühlingsgedicht, das ich kenne. Ich erfreue mich an den zwitschernden Vögeln, am präparierten Geschwätz und am verordneten Frohsinn. Wie schön die Menschen sind! Und alle elf Minuten verliebt sich ein Single mit PARSHIP. Idioten. Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen. Nieder mit dem Glück der Unterwerfung. Es lebe der Hass, die Verachtung, der Aufstand, der Tod! Ich bin der Dichter. Ich stehe an der Spree und spreche mit den Wellen … BLABLA!

Ophelia

* … Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. Ich stehe im Schweißgeruch der Menge und werfe Steine auf Polizisten, Soldaten, Panzer, Panzerglas. Ich blicke durch die Flügeltür aus Panzerglas auf die andrängende Menge und rieche meinen Angstschweiß. Ich schüttle, von Brechreiz gewürgt, meine Faust gegen mich, der hinter der Glastür steht. Ich sehe, geschüttelt von Furcht und Verachtung, in der andrängenden Menge mich, Schaum vor meinem Mund, meine Faust gegen mich schütteln. Ich hänge mein uniformiertes Fleisch an den Füßen auf. Ich bin der Soldat im Panzerturm, mein Kopf ist leer unter dem Helm, der erstickte Schrei unter den Ketten. Ich bin die Schreibmaschine.

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